Wir erleben derzeit eine globale Gesundheitskrise mit einschneidenden Folgen und grosser Ungewissheit. Es ist ein Wesensmerkmal von Krisen und Katastrophen, dass Defizite wie unter einem Brennglas schonungslos aufgezeigt werden, nicht nur in gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher und medizinischer Hinsicht, sondern auch technologisch. Aus der aktuellen Krise lassen sich für das Schweizer Gesundheitswesen folgende Erkenntnisse ableiten:
❱ Das Gesundheitssystem ist konsequent auf die Bedürfnisse der Menschen auszurichten. Ein rascher Zugang zu neuen innovativen Behandlungsmethoden kann Leben retten.
Die Pandemie lehrt uns, dass wir unser Gesundheitssystem konsequent auf die Bedürfnisse der Menschen ausrichten müssen. Die in Rekordzeit entwickelten und zugelassenen Diagnostika, Medikamente und Impfstoffe zeigen exemplarisch auf, wie wichtig der rasche Zugang zu medizinischen Durchbrüchen für die Gesellschaft ist. Daraus folgt, dass die Vorteile der rollenden Zulassungsverfahren, wie wir sie derzeit bei Impfstoffen erleben, über die Krise hinaus für weitere lebensrettende Medikamente genutzt werden sollten. Eine starke und unabhängige Arzneimittelbehörde ist dabei im Interesse der Patientensicherheit und des Pharmastandorts Schweiz. Zudem braucht es auch in Zukunft den vollen Zugang für alle Patienten zu innovativen Arzneimitteln ab dem Tag der Marktzulassung – so wie wir es mit den wirksamen Impfstoffen erlebt haben.
Eine einseitige Fokussierung auf die Kosten, immer komplexere Prozesse und administrative Verfahren sowie isoliertes Silo-Denken haben zuletzt die Qualität des hiesigen Gesundheitswesens beeinträchtigt. Ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Gesundheitssystem basiert auf nutzenorientierten, datenbasierten und integrierten Versorgungsansätzen. Anstelle einer einseitigen Kostenfokussierung braucht es eine gesamtheitliche Betrachtungsweise, die sich konsequent an den Bedürfnissen der Patienten und Patientinnen orientiert. Diese setzt bei der Prävention und Frühbehandlung an. Gleichzeitig bedingt sie Investitionen in die Gesundheitskompetenz der Menschen und benötigt Modelle zur Leistungsvergütung, welche die Ergebnisqualität berücksichtigen.
❱ Die Versorgungssicherheit mit Diagnostika, Medikamenten und Impfstoffen für Patientinnen und Patienten hat hohe Priorität. Offene Grenzen sind eine zentrale Voraussetzung hierfür.
Die Sicherheit der Versorgung mit Impfstoffen, Medikamenten und Diagnostika hat für die Industrie hohe Priorität. Trotz der aussergewöhnlichen Umstände war die Versorgung mit patentgeschützten Medikamenten während der Pandemie in der Schweiz jederzeit gewährleistet, was die Leistungsfähigkeit und die Nutzung globaler Wertschöpfungsketten eindrücklich beweisen. Versorgungssicherheit ist dabei nicht mit Selbstversorgung gleichzusetzen. Die Schweizer Industrie wird stets auf offene Grenzen angewiesen sein. Dass in der Schweiz zahlreiche internationale Pharmaunternehmen weiterhin eine beachtliche Produktionskapazität unterhalten, ist nicht zuletzt guten Rahmenbedingungen für den weltweiten Export geschuldet. Um die Versorgungssicherheit auch in Zukunft zu gewährleisten, sind offene Grenzen für Waren und Arbeitskräfte sowie deren Sicherstellung und Absicherung durch Staatsverträge zentral. Für die Pharmabranche als wichtigste Exportindustrie der Schweiz sind langfristig gesicherte Beziehungen zur EU, unserer wichtigsten Handelspartnerin, essenziell. Der Zugang zu weiteren Märkten ist zu erleichtern, zum Beispiel durch neue Freihandelsabkommen oder durch den Abbau von technischen Handelshemmnissen.
Die Stärkung einheimischer Forschungs- und Produktionsplattformen sind wichtige Instrumente der Krisenvorsorge. Forschung und Produktion können langfristig in der Schweiz nur sichergestellt werden, wenn die Unternehmen gute Rahmenbedingungen vorfinden. Dazu braucht es Zugangs- und Vergütungsregeln, welche Kosten, Qualität und Versorgungssicherheit bei Medikamenten besser ausbalancieren. Gleichzeitig muss Vorlagen, die den Standort verschlechtern (z.B. Forschungsverbotsinitiative, Teile im Kostendämpfungspaket 2, Parallelimport bei Medikamenten, Einführung des Kostengünstigkeitsprinzips usw.), eine klare Absage erteilt werden. Auch dem Erhalt allgemeiner Standortfaktoren wie günstigen steuerlichen Rahmenbedingungen und dem einfachen Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften muss Beachtung geschenkt werden.
❱ Die Digitalisierung im Gesundheitswesen duldet keinen weiteren Aufschub mehr. Datenbasiertes Wissen wird immer bedeutsamer.
Die Pandemie hat der Welt die Bedeutung der Digitalisierung im Gesundheitswesen vor Augen geführt. Das Schweizer Gesundheitswesen weist in der Digitalisierung einen grossen Nachholbedarf auf. Verlässliche Gesundheitsdaten sind nicht nur für die Steuerung in der Krise unerlässlich, sondern auch für bestehende und zukünftige medizinische Behandlungsmöglichkeiten und die Qualitätssicherung. Erfolge bei der Entwicklung von Medikamenten und Therapien sowie in der Diagnostik hängen zunehmend von der Analyse riesiger Datenmengen ab. Von einer anonymisierten Weitergabe ihrer Gesundheitsdaten profitieren Patientinnen und Patienten in mehrfacher Hinsicht. Ein sicherer, offener Zugang zu diesen Daten ermöglicht zum einen, die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten über den gesamten Behandlungszyklus konsequent ins Zentrum zu stellen. Andererseits profitiert der Einzelne als Teil der Gesellschaft von einer gesteigerten Qualität des Gesundheitswesens, bei höherer Effizienz und tieferen Kosten. Dem Staat kommt in der digitalen Transformation eine Schlüsselfunktion zu: Um das Vertrauen der Bevölkerung und der wichtigsten Anspruchsgruppen im Gesundheitswesen zu gewinnen, braucht es einen transparenten Dialog zwischen allen Akteuren und eine Führungs- und Vorbildfunktion der Behörden in technologischer Hinsicht.
❱ Stärkung der Bereitschaft zur Innovation ist für die Schweiz überlebenswichtig.
Ein starker Innovations- und Forschungsplatz Schweiz ist die beste Krisenvorsorge. Die kostenintensive Forschungsinfrastruktur, die es heute ermöglicht, in Gesundheitskrisen rasch und effizient zu handeln, Kapazitäten auszubauen und damit Leben zu retten, kann nicht erst in der Krise aufgebaut werden.
Entsprechend wichtig für eine nachhaltige gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz ist ein Klima, in dem Innovation gedeihen kann. Für den Hochpreis-Standort Schweiz ist dies eine Überlebensfrage oder anders ausgedrückt: Innovation ist das Lebenselixier der Schweizer Wirtschaft. Die Qualität des Schweizer Hochschulsystems ist ein wichtiger Standortfaktor – insbesondere für die forschenden pharmazeutischen Unternehmen, die sich in einem globalen Wissens- und Innovationswettbewerb behaupten müssen. Die Einbettung der Schweizer Hochschulen in die internationale Forschungslandschaft muss auch in Zukunft sichergestellt werden. Zudem braucht es einen raschen und unkomplizierten Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt für ausländische Expertinnen und Experten sowie Fach- und Führungskräfte. Forschung und Entwicklung werden in Zukunft dort stattfinden, wo der Schutz des geistigen Eigentums sichergestellt ist und der beste Zugang zu Talenten, qualitativ hochstehenden Gesundheitsdaten und Partnern besteht.
Der Schutz des geistigen Eigentums ist für eine wissensbasierte und innovationsfreudige Industrie essenziell. Er sorgt dafür, dass nachhaltige und wiederkehrende Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in der Schweiz getätigt werden. Eine Schwächung des Patentschutzes hingegen würde weniger private Investitionen und folglich weniger innovative Produkte bedeuten.
❱ Zusammenarbeit und Austausch stehen am Anfang jeder Lösung.
Noch nie haben Pharmaunternehmen, Forschungseinrichtungen und Start-ups weltweit im Verbund mit den Behörden so rasch und geeint auf eine globale Bedrohung unserer Gesundheit reagiert wie auf Covid-19. Den engen und breiten Dialog zwischen Wissenschaft, Behörden, Wirtschaft und Politik gilt es weiter zu stärken. Zusammenarbeit, Vernetzung und Austausch sind für ein zukunftsfähiges, nachhaltiges Gesundheitssystem zentral.
Mit einem Beirat aus hochrangigen Vertretern von Wissenschaft, Privatwirtschaft und Behörden soll ein neues Instrument geschaffen und institutionalisiert werden, das den Bundesrat in Fragen der Bedarfsplanung und Rahmenbedingungen berät, um für die Zukunft besser gerüstet zu sein. Durch Abbau von administrativen Hürden, Abschaffung der Emissionsabgaben und einfachere Kapitalbeschaffung (Venture Capital) soll der Innovationsstandort Schweiz gestärkt werden. Die Krise hat gezeigt, wie wichtig die Kooperation zwischen Pharmaunternehmen und Start-ups ist.
Der Weg zu einem zukunftsfähigen Gesundheitswesen
Zusammengefasst lässt sich festhalten: Die aktuelle Krise hat die Leistungsfähigkeit und die Resilienz der forschenden pharmazeutischen Industrie, wie auch den Nutzen eines qualitativ hochwertigen Gesundheitssystems eindrücklich bewiesen. Letzteres basiert auf nutzenorientierten, datenbasierten und integrierten Versorgungsansätzen. Anstelle einer einseitigen Kostenfokussierung braucht es eine gesamtheitliche Betrachtungsweise mit dem Patienten im Mittelpunkt. Ein starker Innovationsstandort Schweiz mit attraktiven wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, einem ausgeprägten Schutz des geistigen Eigentums, raschen Zulassungsverfahren, Vernetzung und Austausch wie auch offenen Grenzen mit einem freien Austausch von Gütern und Arbeitskräften sind dabei zentrale Faktoren für eine erfolgreiche Krisenbewältigung. Gerade in der von vielen verschiedenen Partikularinteressen geprägten Gesundheitspolitik braucht es ein vorausschauendes Handeln und Denken in grösseren Zusammenhängen.