Herr Gut, erklären Sie uns doch bitte Ihr Modell.
Martin Gut: Es ist relativ einfach: In der Gastroenterologie kaufen wir die endoskopischen Geräte nicht mehr, sondern der Hersteller stellt sie uns zur Verfügung. Als Vergütung erhält er einen fixen Prozentsatz pro Taxpunktwert Technische Leistung, die wir für eine Behandlung mit seinen Geräten erzielen. Damit partizipiert der Anbieter an unseren Erlösen. Der Vertrag läuft über sechs Jahre. Der Hersteller sorgt dafür, dass wir eine moderne und für die Behandlung adäquate Medizintechnik zur Verfügung haben und leistet auch die Schulungen für unsere Mitarbeiter und alle Wartungs- und Reparaturarbeiten.
Wir kommen gleich noch zu den Details. Aber sagen Sie uns zuerst – wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Vertragswerk komplett umzustellen?
Angefangen hat das Ganze eigentlich 2015. Wir haben damals zum ersten Mal ein «Performance based Contracting» gemacht – eine leistungsbasierte Abrechnung. Damals mussten die Reinigungs- und Desinfektionsgeräte für unsere OP-Instrumente ersetzt werden. Wir hatten das Problem, dass die Geräte viele Ausfallzeiten und fortlaufend hohe Reparaturkosten zur Folge hatten. Ebenfalls waren häufig die Reinigungsergebnisse nicht ausreichend. Es kam vor, dass die Instrumente Wasserflecken und teilweise Rouge (Flugrost) aufwiesen.
Alles, was man eigentlich nicht haben will.
Genau. Und keiner wollte dafür verantwortlich sein und schob die Ursache auf andere mögliche Ursachen. Der Hersteller der Anlage vermutete, dass die Chemie und deren Dosierung nicht geeignet seien. Der Chemielieferant machte eine ungenügende Wasserqualität dafür verantwortlich oder schob die Schuld auf minderwertige Instrumente und Container oder verschlissene Metalloberflächen. Der Instrumentenhersteller wiederum meinte, der maschinelle Aufbereitungsprozess sei wohl verbesserungswürdig. Die Maschinenbeladung durch unsere Mitarbeiter wurde ebenfalls in Frage gestellt, man kennt ja die Diskussionen.
Wie haben Sie das Problem gelöst?
Wir haben dem Anbieter des Reinigungsgeräts gesagt: Wir zahlen jetzt nur noch für jede erfolgreich desinfizierte Charge. Und nur für die erfolgreichen. Sagt uns einfach, was wir mit welchen Betriebsmittlen machen müssen, um korrekte Aufbereitungsergebnisse zu erhalten. Alles andere interessiert uns nicht. Nebenbei haben wir uns mit diesem Finanzierungsmodell noch beworben für den Innovationspreis des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie in Berlin – und siehe da, wir haben reüssiert. Das war 2015.
Was kam dann?
Beim Projekt zum Ersatz der Geräte für die Gastroenterolgie haben wir die Idee wieder aufgegriffen. Denn die wird ja ambulant durchgeführt, dafür bekommen wir Taxpunkte, und dort werden auch konkret Punkte für die Nutzung von Medizintechnik abgerechnet. Gastroskopie gibt so viel, die Entnahme von einem bis drei Polypen gibt so viel, vier bis fünf Polypen so viel usw. Es ist detailliert aufgelistet und kann genau abgerechnet werden. Dann haben wir uns angeschaut, welche Kosten haben wir eigentlich – wie viel Aufwand für Personal, Administration, Facility et cetera. Und da haben wir festgestellt: Wenn wir alle Kosten berücksichtigen, stehen uns – je nach Verrechnung von Umlagen - unter zehn Prozent unserer Einnahmen für Medizintechnik, Investition und Unterhalt zur Verfügung.
Und Ihr tatsächlicher Aufwand für die Medizintechnik?
Eben das war das Problem: Der eigentliche Aufwand für Geräte betrug bei uns wesentlich mehr, als wir von unseren Einnahmen dafür abtreten konnten. Wir haben uns das über mehrere Jahre angeschaut – wir lagen konstant bei diesem hohen Prozentsatz. Wenn Sie ordentlich wirtschaften wollen, können Sie in einem Jahr einmal drüber liegen, aber jahrelang? Das ist nicht gesund.
Kann es nicht sein, dass einfach Ihre übrigen Kosten zu hoch sind? Deshalb blieb nur ein kleiner Prozentsatz für die Medizintechnik übrig. Wären Sie in der Verwaltung effektiver, hätten Sie auch mehr Geld für die Technik.
Eine berechtigte Frage, die wir uns natürlich auch selbst gestellt haben. Aber wir können durch Benchmarks mit anderen Spitälern sicherstellen, dass wir in den anderen Bereichen effizient aufgestellt sind und daher dort keine überhöhten Kosten aufweisen.
Wie sind Sie dann weiter vorgegangen?
Wir haben beschlossen, dass wir den Marktanbietern ein neues Modell vorstellen wollen – das Partizipationsmodell.
Wie lief das genau, als Ausschreibung?
Wir haben es öffentlich ausgeschrieben im wettbewerblichen Dialog.
Was war das Schwierigste in den Verhandlungen?
Die ersten 90 Minuten. Es war nicht ganz leicht, das Modell zu erläutern, beziehungsweise die Denkweise der Hersteller für unser Modell zu öffnen. Die Festplatte mit den alten Mustern musste erst gelöscht werden. Und die ganze Vorbereitung war natürlich sehr aufwendig für das Controlling.
Was waren wesentliche Punkte Ihrer Argumentation?
Ein Punkt war sicherlich zu sagen: Wir hier in Thun haben nur eine Gastroenterologie, ihr aber beliefert 20 oder 30 Gastoenterologien. Ihr seht doch genau, wer was gut und effizient macht, lasst uns daran teilhaben. Je besser wir werden, desto besser wird es auch für euch.
Und?
Da kam leider sehr wenig. Vermutlich hat der neue Ansatz die Hersteller etwas überrascht. Im Prinzip verkaufen wir ja jetzt unsere Patientennachfrage.
Sie spielen den Herstellern den Ball zu.
Vorher rannte der Vertrieb zu unseren Ärzten und zeigte ihnen die allerneusten Geräte – noch schneller, noch besser, noch grösser, noch goldiger und noch bequemer. Wenn jetzt aber der Arzt kommt und das neuste Gerät verlangt, kommt vom Anbieter die Antwort: Leider reichen deine Patientenzahlen nicht, damit sich das Gerät amortisiert beziehungsweise es rentiert sich nicht. Der Anbieter hat plötzlich auch ein betriebswirtschaftliches Interesse am Spital. Jetzt diskutieren auf einmal die Ärzte mit den Anbietern darüber, doch die neusten Geräte aufzustellen. Vorher war es eher die Diskussion der Ärzte mit der Spital-Geschäftsführung.
Was passiert bei neuen technischen Entwicklungen, die auch neue Patienten anlocken könnten?
Der Gastrobereich scheint bezüglich der Technik sehr ausgereift. Aber falls sich doch etwas tut, haben wir im Vertrag festgelegt, dass wir an Innovationen, die den Stand der Technik erhöhen, partizipieren werden.
Wie haben die Ärzte reagiert?
Sie sind sehr zufrieden mit den Leistungen des gewählten Anbieters, welcher uns die Geräte bereitstellt. Die Ärzte haben sich allerdings schon gewundert, welche Preisreduktion möglich war. Denn insgesamt sind die Gesamtkosten für die Geräte ja um fast 50 Prozent gesunken. Die fragen sich auch, ob die Hersteller in den letzten Jahren mit den Preisen nicht etwas übertrieben haben.
Sie gewähren den Herstellern ja ein gewisses Minimum auf Basis der Taxpunkte. Wie hoch ist das Risiko, dass Sie unter dieses Niveau fallen?
Minimal. Wir haben sieben Gastroentrologen, da könnten zwei ausfallen, und wir erreichen diese minimale Anzahl Taxpunkte immer noch. Hier im Kanton Bern ist der Taxpunkt 86 Rappen wert und davon bekommt der Anbieter den definierten Prozentsatz.
Wie hat sich die Fallzahl im Gastrobereich in den letzten Jahren entwickelt?
Eine stabile Zunahme, wir legen jedes Jahr zwischen zwei und vier Prozent zu. Magen-Darmtrakt-Erkrankungen nehmen im Alter zu, und der Vorsorgegedanke wird ja auch immer ausgeprägter.
Warum sechs Jahre Vertragslaufzeit?
Die Hersteller können die Geräte über acht Jahre abschreiben, die meisten schreiben aber schneller ab. Daher hatten wir das Argument, dass wir nicht zu lange in einem Vertrag gebunden sein wollen.
Gibt es Nachteile?
Man könnte kritisieren, dass wir nicht wie früher nach Ablauf der Amortisationszeit als Eigentümer entscheiden können, dass wir die Geräte noch ein paar Jahre nutzen.
Was passiert, wenn die Politik die Preise für die Taxpunkte verändert?
Der Anbieter erhält weiterhin den fixen Prozentsatz unserer Einnahmen, dann vielleicht von geringeren Einnahmen, denn von einer Erhöhung des Taxpunktwertes kann momentan nicht ausgegangen werden.
Nicht alle Patienten im Gastrobereich werden ambulant behandelt, wie ist das im Modell abgebildet?
Rund 85 Prozent der Behandlungen werden ambulant durchgeführt und bei den restlichen 15 Prozent, die stationär behandelt werden, haben wir gesagt, dass wir das den Herstellern so vergüten, als wären die Patienten ambulant behandelt worden.
Wer kommt für die Schulungen und Wartungs- und Reparaturarbeiten auf?
Schulungen sind kostenlos. Der Hersteller hat ein Interesse, dass er wenig Reparaturen hat, und das beste Mittel gegen Ausfälle sind Schulungen. Das war vorher auch umgekehrt. Da hat sich der Hersteller über jeden Reparaturauftrag «gefreut». Heute muss er das selber tragen.
Wer war in Ihrem Verhandlungsteam?
Aus dem Bereich Beschaffung der Businesspartner und ich, dazu die Pflegeleitung und Stellvertretung, die drei leitenden Ärzte und unser CFO.
Welche Untersuchungen eignen sich noch für das Modell?
Die Kardiologie beispielsweise, Neurologie – EEG, EMG könnte man ebenfalls so abrechnen. Überall, wo Geräte standardmässig zum Einsatz kommen, kann man das Modell verwenden.
Sind die nächsten Verträge bereits in der Pipeline?
Unser erster Vertrag läuft ja jetzt seit Anfang Januar. Wir sehen das als Pilotprojekt und werden die Situation sicherlich erst einmal 12 Monate beobachten. Wie spielt sich das Ganze ein mit den Ärzten und Herstellern.
Was war im Rückblick die grösste Herausforderung?
Das war sicher, die geistigen Barrieren für ein solches Finanzierungskonzept zu überwinden. Und zu verstehen: Wir sind jetzt keine Einkäufer mehr. Wir haben nicht gekauft, wir haben verkauft. Das Spital ist nun der Absatzmittler und kann zum Hersteller sagen: Ihr habt die Geräte,wir haben die Patienten. Und wenn wir beide zusammen einen guten Job machen, am und für den Patienten, sind wir gemeinsam Gewinner – voilà!
Herr Gut, wir danken Ihnen für das Gespräch.
❱ Für Rückfragen erreichen Sie Martin Gut unter: martin.gut(at)spitalstsag.ch
SIAL
Fachmesse für Nahrungsmittel-Innovationen
Datum: 19.-23. Oktober 2024
Ort: Paris (F)