Der Pfizer Forschungspreis ist einer der renommiertesten Medizin Forschungspreise der Schweiz. Er wird seit 1992 jährlich von der Stiftung Pfizer Forschungspreis auf Vorschlag von unabhängigen wissenschaftlichen Kommissionen in den Bereichen Grundlagenforschung und klinische Forschung verliehen. Teilnahmeberechtigt sind Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die nicht älter als 45 Jahre sind. Mit der 30. Preisverleihung ehrt die Stiftung Pfizer Forschungspreis 15 Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Sprachregionen der Schweiz. Das sind die diesjährigen Preisträger:
Herzkreislauf, Urologie und Nephrologie
Infektiologie, Rheumatologie und Immunologie
Neurowissenschaften und Erkrankungen des Nervensystems
Onkologie
Pädiatrie
Eine kurze Zusammenfassung der einzelnen Arbeiten finden Sie hier:
Herzkreislauf, Urologie und Nephrologie
PD Dr. Ange Maguy,
Universität Bern
PD Dr. Jin Li,
Universität Bern,
CHUV Lausanne
«Mit Antikörpern gegen Herzrhythmusstörungen»
Das Long-QT-Syndrom ist eine Störung der Ionenkanäle und damit verbunden der elektrischen Erregungsleitung im Herzmuskel. Fachleute sprechen von einer pathologisch verlängerten Repolarisationsphase des Herzens. Mit anderen Worten: Die Wiederherstellung des Ruhezustands der Herzmuskelzellen nach der Erregungsphase verläuft verzögert ab und begünstigt lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen.
Zwar werden die Betroffenen mit Medikamenten, implantierbaren Defibrillatoren (ICD) oder einer chirurgischen Unterbrechung bestimmter Nervenbahnen (Denervation) behandelt, eine kausale Therapie ist jedoch gegenwärtig nicht verfügbar. Grund für Ange Maguy und Jin Li nach einem Therapieansatz zu suchen, der mit der Verwendung von Antikörpern einen neuen Weg beschreitet. Der Hintergrund: Die verlängerte Repolarisationsphase des Herzens hat viel mit fehlerhaft arbeitenden Ionenkanälen zu tun. Bereits in früheren klinischen Studien wurde darauf hingewiesen, dass Autoantikörper gegen einen spezifischen Kaliumkanal des Herzens (KCNQ1-Autoantikörper) in der Lage sein könnten, die Repolarisation zu verkürzen. Dem wollten die beiden Wissenschaftler nachgehen. Ihnen gelang es, aus immunisierten Kaninchen KCNQ1-Antikörper zu isolieren, um dann ihre Funktion und ihr therapeutisches Potenzial zu untersuchen. Tatsächlich ergaben die elektrophysiologischen Laboruntersuchungen, dass solche Antikörper die Repolarisationsphase verkürzen und sogar Rhythmusstörungen in Herzmuskelzellen eines Patienten mit dem Long-QT-Syndrom komplett unterdrücken.
Mit dieser Studie konnte erstmals direkt in vitro nachgewiesen werden, dass KCNQ1-Antikörper eine korrekte elektrische Repolarisation – also Entspannungsphase – in den Herzmuskelzellen eines Patienten mit Long-QT-Syndrom wieder ermöglichen. Eine auf diesen Erkenntnissen basierende Immuntherapie könnte möglicherweise in Zukunft als Therapieansatz für Menschen mit dem Long-QT-Syndrom untersucht werden.
Herzkreislauf, Urologie und Nephrologie
Dr. Nikola Kozhuharov,
for the GALACTIC investigators, Universitätsspital Basel
«Kann die Therapie der akuten Herzinsuffizienz verbessert werden? Die GALACTIC-Studie: Effekt von Vasodilatation bei akuter Herzinsuffizienz»
Akute Herzinsuffizienz ist die häufigste zu einer Hospitalisation führende Diagnose auf den Notfallstationen. Noch immer sind die Morbidität und Mortalität unter den Betroffenen sehr hoch. So stirbt rund die Hälfte von ihnen oder muss innerhalb der nächsten sechs Monate erneut ins Spital. Studien haben gezeigt, dass eine intensive Behandlung mit gefässerweiternden Medikamenten (Vasodilatation) die Überlebenschancen bei zusätzlichen Komplikationen wie schweres Lungenödem erhöht – ein dramatischer Krankheitsverslauf, der nur 5% aller Patienten mit akuter Herzinsuffizienz darstellt.
Bislang ist unbekannt, ob eine solche intensivierte Vasodilatation Vorteile gegenüber der gängigen Standardtherapie bei Patienten mit dem viel häufiger auftretenden, weniger schweren Krankheitsverlauf der akuten Herzinsuffizienz besitzt. Das Studienteam wollte deshalb diese Fragestellung in der bislang grössten, von Forschern initiierten Therapiestudie zu akuter Herzinsuffizienz untersuchen.
In der GALACTIC-Studie wurden 788 Patienten mit akuter Herzinsuffizienz entweder mit einer individuell dosierten, intensivierten Vasodilatation auf der Basis weithin gebräuchlicher, kostengünstiger Medikamente oder mit einer Standardtherapie behandelt. Zwar wurde die Therapie gut vertragen, der primäre Endpunkt der Studie, nämlich eine Reduktion der Gesamtsterblichkeit und weniger Re-Hospitalisationen nach 180 Tagen, wurde jedoch nicht erreicht. Damit zeigte sich, dass solche kurzzeitigen Interventionen bei der akuten Herzinsuffizienz wahrscheinlich keinen langfristigen Vorteil in einer heterogenen Studienpopulation bringen. Trotzdem sind auch solche «negativen» Studienergebnisse wichtig, sowohl für zukünftige Forschung als auch für die Beantwortung von Fragen rund um die aktuellen Behandlungsstrategien von akuter Herzinsuffizienz.
Infektiologie, Rheumatologie und Immunologie
Dr. Cristina Gil-Cruz,
Kantonsspital St. Gallen
Dr. Christian Pérez-Shibayama,
Kantonsspital St. Gallen
Dr. Veronika Nindl,
Kantonsspital St. Gallen
«Darmbakterien können Herzmuskelentzündungen fördern»
Eine Herzmuskelentzündung oder Myokarditis ist eine Herzerkrankung, die bei einem Teil der Betroffenen zu einer schwerwiegenden Kardiomyopathie mit Herzschwäche führen kann. Während einer Myokarditis kommt es zu einer Aktivierung des Immunsystems, bei dem sich vor allem die beiden T-Helferzelltypen TH1 und TH17 gegen ein bestimmtes Protein richten. Allerdings sind die Mechanismen, welche die schädliche Wirkung der herzspezifischen T-Zellen regeln, bislang nicht ausreichend bekannt.
Cristina Gil-Cruz, Christian Perez-Shibayama und Veronika Nindl wollten diesen Mechanismen auf den Grund gehen. Wäre es möglich, dass eine Verbindung zwischen der Darmflora (auch Mikrobiom genannt) und dem Auftreten entzündlicher Herzerkrankungen besteht? Tatsächlich wurde in den vergangenen Jahren in vielen Studien deutlich, dass die Bakterienflora im Darm einen grossen Einfluss auf viele Prozesse im menschlichen Körper nimmt.
Die St. Galler Forschungsgruppe untersuchte dazu Mäuse, bei denen sich spontane Autoimmun-Herzmuskelentzündungen entwickeln und hielten sie dazu entweder in einer normalen oder in einer keimfreien Umgebung. Anhand genetischer Sequenzierung des Mikrobioms der Mäuse und weiterer Untersuchungen mit bioinformatischen Methoden wurde deutlich, dass vor allem die Bakteriengattung Bacteroides für Eiweissmoleküle verantwortlich ist, die Herzerkrankungen fördern. Umgekehrt reduzierte eine gegen Bacteroides gerichtete Antibiotika-Behandlung die Aktivität der herzschädigenden T-Zellen bei diesen genetisch anfälligen Mäusen und bewahrte sie vor dem entzündlichen Herztod. Danach untersuchten sie die T-Zellantworten gegen diese mikrobiellen und herzspezifischen Peptide bei Patienten mit Myokarditis: Es zeigte sich, dass Patienten mit bestimmten Genvarianten besonders stark auf solche Bakterienproteine reagieren und damit möglicherweise anfälliger für die Entwicklung von Herzmuskelentzündungen sind.
Diese Erkenntnisse von Cristina Gil-Cruz, Christian Perez-Shibayama und Veronika Nindl über die Hemmung von herzschädigenden T-Zellen durch eine Veränderung des Mikrobioms könnte helfen, einen Therapieansatz für die Behandlung der entzündlichen Kardiomyopathie zu finden.
Neurowissenschaften und Erkrankungen des Nervensystems
Dr. Dasha Nelidova,
Institute of Molecular and Clinical Ophthalmology Basel (IOB) und Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research, Basel
«Mit Nah-Infrarot-Licht die dunklen Bereiche der Retina erhellen»
Die Degeneration der Photorezeptoren im Auge, beispielsweise bei der altersbedingten Makuladegeneration, ist die häufigste Ursache von Blindheit in den industrialisierten Ländern.
Das menschliche Auge ist in der Lage, in einem Wellenlängenspektrum von 390 bis 700 Nanometer zu sehen. Dagegen ist Nah-Infrarot-Licht mit einem Spektrum von mehr als 900 nm normalerweise nicht in der Lage, menschliche Photorezeptoren zu stimulieren.
Die Forschungsgruppe mit Dasha Nelidova wollte untersuchen, ob in irgendeiner Weise die visuelle Funktion ergänzt oder sogar wiederhergestellt werden könnte, indem die Photorezeptoren dazu gebracht werden, Nah-Infrarot-Licht aufzunehmen. Allerdings existierte bislang keine Technologie, die es erlauben würde, eine solche Empfindlichkeit in einer blinden Retina herzustellen. Also entwickelten sie entsprechende hochempfindliche gentechnologische Techniken. Mit ihnen gelang es der Basler Wissenschaftlerin, spezielle Ionenkanäle, so genannte TRP-Kanäle, mit Infrarotsensoren auszustatten, um diese in den lichtunempfindlichen Sehzellen von blinden Mäusen für Nah-Infrarot-Licht zu sensibilisieren.
Durch eine Stimulation mit Nah-Infrarot-Licht konnte tatsächlich ein Anstieg der Aktivität der Photorezeptoren und der nachfolgenden Nervenbahnen gemessen werden: Das Verhalten der zuvor blinden Mäuse aufgrund einer genetisch bedingten Netzhautdegeneration liess sich durch Nah-Infrarot-Licht wieder beeinflussen. Auch konnten die neuronalen Antworten mithilfe verschiedener Wellenlängen und Temperaturen, unterschiedlich langer Nanostäbchen und eigens entwickelter winziger Kanülen verändert werden. Schliesslich gelang es der Forschungsgruppe auch an menschlichen, blinden Retinas von verstorbenen Personen über die TRP-Kanal-Stimulation durch Nah-Infrarot-Licht verschiedene Zelltypen zu aktivieren.
Durch dieses völlig neu entwickelte Verfahren konnte nicht nur der grundsätzliche Nachweis geliefert werden, dass eine gewisse visuelle Funktion durch den Einsatz von Nah-Infrarot-Licht wieder möglich ist, sondern es dient auch als ein Modell für viele andere Ansätze zur Erforschung der menschlichen Retina.
Neurowissenschaften und Erkrankungen des Nervensystems
Dr. Michael Hugelshofer,
Universitätsspital Zürich
Dr. Raphael Buzzi,
Universitätsspital Zürich
«Aneurysmen im Gehirn: Haptoglobin verhindert Hämoglobin induzierte Gefässverengungen»
Aneurysmen sind krankhafte Aussackungen in der Wand von Blutgefässen. Reisst ein solches Aneurysma einer Arterie im Gehirn, gelangt Blut in den mit Liquor, dem Hirnwasser, gefüllten Subarachnoidalraum. Einige Tage nach der Blutung treten oft gefährliche Verengungen der Hirnarterien auf, welche zu schweren sekundären Hirnschäden führen können. Bis heute gibt es keine Möglichkeit, solchen verzögerten Schäden vorzubeugen.
Grundlage für die Forschungen der Gruppe mit Michael Hugelshofer und Raphael Buzzi war die Beobachtung, dass sich die Erythrozyten, die roten Blutkörperchen, in den Tagen nach einer Blutung zersetzen und langsam Hämoglobin, den roten Blutfarbstoff, in den Subarachnoidalraum freigeben. Gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen diesem zellfreien Hämoglobin im Liquor und dem Auftreten der sekundären neurologischen Schäden? Welche Auswirkungen hat das Hämoglobin und besteht die Chance, hier therapeutisch einzugreifen?
Um diesen Fragen systematisch nachzugehen, analysierten die Zürcher Wissenschaftler die Zusammensetzung von Hirnwasserproben von Patienten mit Hirnblutung und untersuchten in Tiermodellen die Mechanismen der Hämoglobin-Toxizität und mögliche therapeutische Ansätze.
Michael Hugelshofer und Raphael Buzzi konnten zeigen, dass das freie Hämoglobin im Liquor unter anderem Verengungen der Hirngefässe verursacht. Als besonders kritisch erwies sich dabei das schnelle Eindringen des Blutfarbstoffs aus dem Liquor in die Gefässwände und bis tief ins Gehirn. Freies Hämoglobin nach einer Blutung könnte demnach viel weitreichendere schädliche Effekte haben als bisher angenommen. Wurde Hämoglobin im Liquor jedoch in einen Komplex mit dem Bluteiweiss Haptoglobin gebunden, verhinderte dies das Eindringen in die Gefässwände und in das Hirngewebe, wodurch die Gefässverengungen im Tiermodell ausblieben.
Die beiden Preisträger identifizierten freies Hämoglobin im Hirnwasser als Treiber der verzögerten Schädigung des Gehirns. Die Entdeckung der zugrundeliegenden Mechanismen ermöglicht weitere Forschung für mögliche therapeutische Wege. Dabei könnte die Komplexierung von Hämoglobin mit Haptoglobin eine wichtige Rolle spielen.
Onkologie
Dr. Chloe Chong,
Ludwig Institute for Cancer Research, Lausanne, CHUV und Université de Lausanne
Dr. Michal Bassani-Sternberg,
Ludwig Institute for Cancer Research, Lausanne, CHUV und Université de Lausanne
«Entschlüsselung von Zielstrukturen für Tumorerkennung»
Die medizinische Krebsforschung richtet sich zunehmend auf die Entwicklung von Therapien, die spezifisch gegen Tumore wirken. Dazu ist es notwendig, molekulare Eigenschaften zu identifizieren, die nur den Krebszellen, nicht jedoch den gesunden Körperzellen eigen sind. Fast alle Zellen des menschlichen Körpers besitzen auf ihrer Oberfläche solche spezifischen Strukturen, so genannte humane Leukozyten-Antigene, kurz HLA-Peptide. Auch Tumorzellen tragen diese Kleinstproteine auf ihrer Oberfläche und haben das Potential, als Zielstrukturen für Krebs-Immuntherapien zu dienen. Allerdings müssen solche potenziellen Ziele auf den Tumorzellen erst einmal gefunden werden.
Die Forschergruppe mit Chloe Chong und Michal Bassani-Sternberg entwickelte ein Modell, in das verschiedene tumorspezifische Eigenschaften aus immunologischen, genetischen und zellbiologischen Daten mit einflossen. Dabei standen sogenannte nicht-codierende genetische Sequenzen besonders im Fokus. Zudem wurden Ergebnisse aus massenspektrometrischen Untersuchungen rechnerisch miteinander kombiniert.
Mit diesem neuen Ansatz liessen sich in verschiedenen Tumorproben hunderte HLA-Peptide aus völlig unterschiedlichen genetischen Regionen des Erbguts identifizieren. Zudem fanden die beiden Lausanner Wissenschaftlerinnen patientenübergreifend identische HLA-Peptide in den Tumorproben. Schliesslich konnte mittels der neuen Methode ein immunogenes Peptid identifiziert werden, das mit Stammzellmarkern des schwarzen Hautkrebses in Verbindung steht.
Die grosse Zahl neu entdeckter Antigene kann zur Entwicklung von neuartigen Krebsimmuntherapien beitragen. Die Ergebnisse, die auch für andere Forschungsteams frei zugänglich sind, werden bereits heute in laufende frühe klinische Studien am Universitätsspital Lausanne integriert.
Onkologie
Prof. Carsten Riether,
Inselspital und Universität Bern
«Mit Antikörpern erfolgreich gegen myeloische Leukämiezellen»
Bei einer akuten myeloischen Leukämie (AML) kommt es durch veränderte leukämische Stammzellen zu einer unkontrollierten Vermehrung von unreifen Vorläuferzellen im Knochenmark, was letztlich zu immer mehr «defekten» und immer weniger gesunden Blutzellen führt. Leukämische Stammzellen sind oft gegen konventionelle Chemotherapien und andere Therapien resistent. Die Behandlungsoptionen, zum Beispiel mit sogenannten hypomethylierenden Substanzen als Standardtherapie, sind speziell auf ältere und gebrechliche Patienten begrenzt.
Die molekularen Hintergründe dieser Resistenzen sind nur wenig verstanden. Ein Grund für das Forschungsteam mit Carsten Riether sich dieser Sache anzunehmen. So konnten sie feststellen, dass bei einer Behandlung von AML-Patienten mit hypomethylierenden Substanzen ein bestimmtes Molekül von den krankhaften Stammzellen vermehrt produziert wird. Es handelt sich dabei um den Liganden CD70. CD70 wird auf der Oberfläche von leukämischen Stammzellen exprimiert und fördert die Resistenzen gegen die Krebsmittel. Wäre es nicht möglich, diesen Liganden durch einen Antikörper zu blockieren und damit eine Behandlung erfolgreicher zu machen? Genau dieses Ziel verfolgte der Berner Forscher mit seinen Untersuchungen. Mit einer Kombination aus hypomethylierenden Substanzen und dem gegen CD70 gerichteten Antikörper Cusatuzumab konnten im Labor myeloische Leukämiezellen eliminiert werden. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurden in einer klinischen Phase 1 Studie unbehandelte AML-Patienten mit einer Kombination aus Cusatuzumab und – darauf folgend – einer Standard-Therapie behandelt. Als Resultat reduzierten sich durch die Bekämpfung von CD70 mit Antikörpern die Leukämiezellen als auch die leukämischen Stammzellen signifikant und alle 12 untersuchten Patienten reagierten auf die Behandlung.
Mit dieser Phase-1-Studie konnte ein neuer Therapie-Resistenzmechanismus bei myeloischen Leukämiezellen aufgedeckt und gleichzeitig eine mögliche Therapiestrategie untersucht werden, welche dann in weiteren klinischen Studien in einer grösseren Studienpopulation getestet werden muss.
Pädiatrie
Dr. Dr. Andrea Alexis Mauracher,
Universitäts-Kinderspital Zürich
«Einfluss des Immunsystems auf die Bildung roter Blutkörperchen»
Seltene Krankheiten, die sich bereits im Kindesalter manifestieren, haben oftmals genetische Ursachen. Auch bei der STAT3 GOF-Erkrankung handelt es sich um einen seltenen, angeborenen Immundefekt. Dabei steht STAT3 für das veränderte Gen und GOF, oder “Gain of function”, für eine Überfunktion der Genaktivitiät. Das hat Folgen: Durch eine überschiessende Immunreaktion kommt es zu einer starken Verringerung der Blutzellen, Schwellung des Lymphgewebes inklusive Milz oder zu entzündlichen Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. Auch eine erhöhte Infektanfälligkeit und Veränderungen des Lungengewebes, der Schilddrüse oder der Haut sind möglich, ebenso wie Diabetes mellitus Typ 1 oder Störungen des Längenwachstums der Kinder.
Ein zentrales Merkmal der Erkrankung ist der Mangel an roten Blutkörperchen. Das Forschungsteam mit Andrea Mauracher wollte deshalb untersuchen, was an der Reifung und Entwicklung der roten Blutzellen im Blut und Knochenmark der betroffenen Kinder falsch läuft. Mittels Zellkulturexperimenten und molekularbiologischer Analysen sollte den Ursachen der Reifungsbeeinträchtigungen auf den Grund gegangen werden.
Die Zürcher Immunologin konnte mit ihren Studien nachweisen, dass die Überaktivierung von STAT3 bei den kleinen Patienten einerseits Signalwege hemmt, die für die Ausreifung der roten Blutzellen zentral sind. Andererseits werden entzündliche Prozesse gefördert, was zusätzlich die Ausreifung dieser Zellen verhindert. Zudem bindet und aktiviert das mutierte STAT3 auch andere Proteine, die ihrerseits entzündlich wirken. Mittels dieser Erkenntnisse gelang es in der Folge, die Behandlung einer Patientin mit gesteigerter STAT3-Aktivität durch eine gezielte Therapie zu verbessern.
Diese Resultate zeigen einen neuen Entstehungsmechanismus der Anämie. Sie erlauben es nicht nur, die Behandlung der Patienten zu beeinflussen, sondern können möglicherweise auch die Entstehung der Blutarmut bei anderen chronischen Erkrankungen besser erklären.
Pädiatrie
Dr. Christa König,
Inselspital und Universität Bern
Dr. Cécile Adam,
CHUV Lausanne
«39.0°C als neue Fiebergrenze für Kinder mit einer Krebserkrankung»
Krebspatienten entwickeln unter einer Chemotherapie nicht selten die Komplikation von Fieber in Verbindung mit einer Verminderung der weissen Blutkörperchen. Dieses sogenannte «Fieber in Neutropenie» (FN) muss, wenn es zu hoch steigt, behandelt werden. Auch an Krebs erkrankte Kinder und Jugendliche sind während einer Chemotherapie oft von Fieber in Neutropenie betroffen. Dank der Notfallbehandlung versterben von ihnen heute glücklicherweise weniger als ein Prozent. Eine Schwierigkeit dabei ist, eine Fiebergrenze festzulegen, um zu bestimmen, ab wann Antibiotikatherapie und Hospitalisierung zwingend notwendig sind.
Das Forschungsteam mit Christa König und Cécile Adam wollte untersuchen, ob eine höhere Fiebergrenze von 39.0°C nicht weniger sicher ist als die tiefere Grenze von 38.5°C oder ob mit mehr gesundheitlichen Schwierigkeiten zu rechnen ist. An der praxisorientierten, randomisierten und kontrollierten Studie nahmen an sechs Schweizer Kinderonkologie-Zentren 269 Kinder und Jugendliche teil und 360 Fälle von Fieber in Neutropenie wurden untersucht. Die für die Patienten gültige Fiebergrenze wurde monatlich zufällig gewechselt.
Die Resultate zeigten, dass für die meisten Kinder und Jugendlichen mit einer Krebserkrankung eine höhere Fiebergrenze von 39.0°C nicht weniger sicher ist als eine tiefere Fiebergrenze von 38.5°C. Zudem wurden bei der höheren Grenze rund ein Viertel weniger Fälle von Fieber in Neutropenie diagnostiziert, was zu weniger Hospitalisationen und weniger Therapien führte.
Die Ergebnisse führen dazu, dass in der Schweiz und in vergleichbaren Ländern bei den meisten Kindern mit Krebserkrankung und Chemotherapie 39.0°C nun als Standard-Fiebergrenze empfohlen werden kann. Dies wird nicht nur das individuelle Patientenmanagement beeinflussen, sondern auch zusätzlich wichtige gesundheitsökonomische Auswirkungen haben.