Wie ist es zur Gründung von Pedeus gekommen?
2008 hat es angefangen. Ich habe damals die Stelle als Leiterin der Apotheke am Universitäts-Kinderspital Zürich angetreten. Es galt damals schon als relativ innovativ, dass die Pharmazeuten mit auf die Intensivstation gegangen sind und die ärztliche Verordnung überprüften, bevor die Medikamente verabreicht wurden. Denn die Dosierung der Medikamente für Kinder ist eine grosse Herausforderung. Je nach Gewicht und Alter der Kinder muss die Dosierung individuell berechnet werden. Als Hilfsmittel wurde damals ein Buch verwendet, in dem die meisten Dosierungen angegeben waren. Allerdings gab es trotzdem eine noch zu hohe Fehlerquote bei den Berechnungen.
Ist es wirklich so kompliziert? Ein Kinderarzt müsste ja eigentlich die Dosierung kennen.
In der Regel ist es nur ein Dreisatz, um die genaue Menge zu berechnen. Aber es gibt verschiedene Fehlerquellen. Beispielsweise die Mengenbezeichnung: Häufig ist die Angabe in Milligramm pro Kilo, wobei auch eine Maximaldosierung stehen könnte, die allerdings nicht pro Kilo gemeint ist. Gleichzeitig bedeutet die Maximaldosierung nicht, dass ein sehr leichtes Kind damit dosiert werden darf. Das ist anders als bei Erwachsenen. Dort darf ich jedem Erwachsenen die Maximaldosierung verabreichen. Mit diesem Unterschied haben unerfahrene Ärztinnen und Ärzte immer wieder Schwierigkeiten.
Kaum zu glauben.
Ein weiteres Thema sind Überdosierungen. Bei Erwachsenen wird es kaum vorkommen, dass eine Pflegefachperson zehnmal so viele Tabletten verabreicht. Aber einem kleinen Kind statt 0,02 Milligramm durch eine Ungenauigkeit 0,2 Milligramm zu verabreichen, fällt nicht direkt auf.
Wie ging es dann weiter?
Der damalige Chefarzt hat uns sehr unterstützt, und schnell wurde dann die Idee geboren, ein elektronisches Tool für die Dosierung zu schaffen. Darum haben wir 2008 begonnen, alle Dosierungen aus dem Buch in einer Datenbank zu strukturieren, um damit rechnen zu können.
Wurde die Datenbank intern erstellt, oder gab es externe Unterstützung?
Die Datenbank wurde am Kinderspital Zürich entwickelt, aber wir suchten bereits früh Partner. Seit Langem kooperieren wir mit einem externen Datenbankspezialisten, HCI Solutions. Sie programmieren ebenfalls Clinic-Decision-Support-Module, allerdings für die Erwachsenenmedizin. Daher ergänzt sich das sehr gut mit unserer Anwendung.
Wann wurde die elektronische Lösung lanciert?
Unsere erste Idee war, dass die Klinik-Informations-System-Hersteller unsere Datenbank in ihre Systeme integrieren und die Berechnung der Dosierungen selber vornehmen. Aber das war letztendlich zu kompliziert, die Einführung der elektronischen Verordnung ist nicht richtig vorangegangen. Darum haben wir uns dann zunächst entschieden, eine Website mit den Dosierungen zu lancieren. Es lief dann mehrere Jahre unter dem Namen www.kinderdosierungen.ch. 2013 haben wir für dieses Projekt den Swiss Quality Award gewonnen.
Wie ging es weiter?
Als im Jahr 2017 die neue MDR, eine neue europäische Regulierung für Medizinprodukte, beschlossen wurde, war klar, dass ein Tool zur Berechnung von Dosierungen bei Kindern als Medizinprodukt der Klasse IIa eingeordnet wird und wir nach ISO 134815 sowie als Medizinproduktehersteller zertifiziert sein müssen. Das hat dann den ganzen Zertifizierungsprozess für uns ausgelöst. Das war dann auch der entscheidende Moment, die Anwendung nicht mehr integriert im Kinderspital laufen zu lassen, sondern als Ausgründung in einem eigenen Unternehmen, das auch heute nach wie vor der Eleonorenstiftung als Trägerin des Kinderspitals gehört. 2018 wurde das Unternehmen Pedeus dann gegründet.
Was war die grösste Herausforderung?
Die ganze Zertifizierung ist sehr aufwendig. Alle Prozesse aufzugleisen und die Notified Bodies zu suchen, die Dokumentationen, Risikoanalysen sowie Saftey-Berichte zu erstellen. Das kostet Zeit und Geld. Ende 2020 haben wir die Zertifizierung erlangt. Die Zertifizierung ist allerdings nicht ein einmaliger Prozess, sondern muss täglich vom ganzen Team «gelebt» werden.
Seit wann können es Externe nutzen?
Wir haben 2019 unser smartes e-Health-Tool PEDe-Dose lanciert, welches eine umfassende Datenbank an Kinderdosierungen enthält und diese patientenindividuell berechnet.
Und wie wird das System jetzt genutzt?
Es gibt die Web-Applikation, aber um es effektiv im Spital-Prozess einzusetzen, muss es ins Klinik-Informations-System integriert werden, so wie beim Kinderspital. Da es aber sehr viele KIS-Hersteller gibt, ist diese Sache relativ kompliziert. Eine Möglichkeit ist, dass wir zusammen mit jedem einzelnen KIS-Hersteller ein «kindgerechtes» Modul programmieren, damit PEDeDose eingesetzt werden kann. Das ist für alle ein Riesenaufwand, und darum macht es keinen Sinn, für uns diesen Weg weiterzuverfolgen.
Was ist die Alternative?
Die sogenannte «Smart on FHIR»-App, das ist im Prinzip eine Applikation, die aus dem KIS aufgerufen wird, das Medikament wird – mit Support von PEDeDose im Hintergrund – in dieser Oberfläche verordnet und dann wieder über eine Schnittstelle ins KIS zurückgespielt. Das hätte den grossen Vorteil, dass das Verordnungsmodul den Anforderungen der Kindermedizin gerecht werden.
Ab wann könnte das so funktionieren?
Noch sind wir in der Planungsphase und kümmern uns um die Finanzierung dieser Applikation.
Wie viele Institutionen nutzen bisher PEDeDose?
In der Deutschschweiz nutzen sehr viele Kinderkliniken unsere Anwendung. Nach Kinderbetten gezählt, bedienen wir etwa die Hälfte. Da sind die grossen eigenständigen Kinderspitäler dabei und mehrere Kantonsspitäler.
Nach welchem Modell funktioniert die Lizenz?
Wir kennen zwei Arten von Lizenzen: Solche für Einzelnutzerinnen und -nutzer sowie solche für Institutionen. Und weil eine Apotheke unser Angebot anders nutzt als eine pädiatrische Notfallstation, passen wir auch unser Angebot z. B. an die Grösse der Institution, an die Anzahl Nutzerinnen und Nutzer etc. an.
Im Ausland seid Ihr auch?
Die Web-Applikation kann genutzt werden in Bezug auf die Wirkstoffe. Aber: Je nach Land können die Medikamente mit unterschiedlichen Hilfsstoffen ausgestattet sein. Das macht eine Auslandsexpansion schwierig.
Welche Projekte habt Ihr Euch für die nahe Zukunft vorgenommen?
Neben der Finanzierung für die «Smart on FHIR»-App wollen wir natürlich Schritt für Schritt auch ins Ausland. Und dann sind wir gerade dabei, unser Produktportfolio zu erweitern. Drei Projekte stehen in der Pipeline: erstens eine spezielle Lösung für den Notfalldienst. Zweitens eine Anwendung zur Medikation bei Niereninsuffizienz von Kindern. Ein Thema, das für die Ärzteschaft der Intensivstationen sehr wichtig ist.
Und das dritte Projekt?
Die Zubereitung und Applikation von Medikamenten. Also angenommen eine Ärztin möchte 100 Milligramm eines Antibiotikums intravenös verabreichen. Dazu muss sie zuerst in einer Ampulle die Trockensubstanz auflösen mit einem bestimmten Lösungsmittel in einem bestimmten Volumen. Im zweiten Schritt muss sie davon eine bestimmte Menge entnehmen und der Infusionslösung zuführen. Da kann ihr unser intelligentes Tool die Arbeit schon sehr vereinfachen.
Sie haben vor Kurzem PEDeDose wissenschaftlich prüfen lassen, warum?
Wir haben in einer Studie mit Ärztinnen und Apothekern die Medikation für verschiedene Anwendungsfälle simuliert, um festzustellen, ob PEDe-Dose die Sicherheit von Kinderdosierungen erhöht. Im Ergebnis können mit PEDeDose 77 Prozent der Fehler reduziert und zudem die Berechnungen viel schneller durchgeführt werden.
Warum nicht 100 Prozent?
Es kann immer noch zu Übertragungsfehlern kommen, also dass trotz richtiger Kalkulation aus Versehen die falsche Menge oder gar der falsche Wirkstoff übertragen wird. Das kann unser System nur dann ausschliessen, wenn es im KIS integriert ist.
Sonstige Erkenntnisse?
PEDeDose enthält eine umfassende Datenbank mit Kinderdosierungen. Diese Informationen sind strukturiert dargestellt. Da steht quasi schwarz auf weiss, wie hoch die Dosis sein darf für ein Kind, das so und so alt und schwer ist. Doch diese Info allein reicht gemäss Studie nicht aus. Trotzdem passieren den Ärztinnen und Ärzten sowie Apothekerinnen und Apothekern Fehler bei der Berechnung. Erst unser automatischer Kalkulator hilft signifikant, solche Fehler zu vermeiden.
Was wäre das Wunschszenario für die weitere Entwicklung?
Wie erwähnt, haben wir Grosses vor. Wir erweitern unser Portfolio, gewinnen schweizweit an Kundinnen und Kunden und möchten auch ins Ausland expandieren. Dafür brauchen wir finanzielle Unterstützung. Ich würde mir deshalb Investorinnen und Investoren wünschen, die unsere Vision einer sicheren Kindermedikation teilen.
Wäre die Eleonorenstiftung bereit, Anteile abzugeben?
Die Eleonorenstiftung sowie das Kinderspital Zürich haben die Geburt von Pedeus erst ermöglicht und seither unser kontinuierliches Wachstum gefördert. Die Partnerschaft ist sehr eng. Dennoch ist es auch für alle Beteiligten klar, dass es für die nächsten grossen unternehmerischen Schritte von Pedeus tatkräftige finanzielle Unterstützung von weiteren Partnerinnen und Partnern braucht.
Learnings aus den fünf Jahren?
Der Aufwand und die Kosten für die Zertifizierung unter MDR, diese habe ich unterschätzt. Gleichzeitig hat mir meine Erfahrung gezeigt, dass gute E-Health-Lösungen massive Vorteile für Patientinnen und Patienten, aber auch für Gesundheitsfachpersonen bringen.
Was kostet Eure Anwendung für Arzt-Praxen?
Die Webversion kostet für eine einzelne Nutzerin oder einen einzelnen Nutzer lediglich 275 Franken pro Jahr, also nicht mal 1 Franken pro Tag. Wobei man sagen muss, dass die Ärztinnen und Ärzte ihre 20 Standard-Medikamente sicherlich kennen, aber sobald es etwas komplizierter wird, lohnt sich PEDeDose schon.