Wie nie zuvor stand die Medizintechnik in den letzten beiden Jahren im Zentrum des öffentlichen Interesses – global, in Europa und in der Schweiz. Dies aufgrund der folgenden drei Ereignisse: Covid-19:
Die Pandemie hat einmal mehr gezeigt, dass die Gemeinschaft der Gesundheit höchste Bedeutung beimisst. Mit grossem Aufwand haben Staaten weltweit Notfallmassnahmen zum Schutz ihrer Bevölkerung ergriffen. ln der Bewältigung von Covid-19 kommt der Medizintechnik bei der Prävention, der Diagnostik und der Therapie eine Schlüsselrolle zu.
MDR und IVDR: Die Implementierung der europäischen Medizinprodukteregulierung (MDR und IVDR) ist mit grossen qualitativen und quantitativen Mängeln behaftet. Es besteht ein erhebliches Missverhältnis zwischen benötigten Prüfstellen in Europa und zu zertifizierenden Medizinprodukten. Die Zielsetzung der Regularien, namentlich die Verbesserung der Patienten-Sicherheit, droht damit ins Gegenteil zu kippen. Die Industrie ist parat, das System ist es nicht.
Schweizer Europapolitik: Am 26. Mai 2021 hat der Bundesrat die Verhandlungen zum institutionellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU offiziell abgebrochen. Seither befindet sich die Schweizer Medtech-Branche mit der EU im Drittstaat-Verhältnis; dies mit entsprechenden negativen Folgen.
Verhältnis EU–Schweiz
Alle drei Ereignisse haben in der Branchenstudie ihren Niederschlag gefunden. Mittel- bis langfristig den grössten Effekt wird die Schweizer Europapolitik haben. Der heutige Schwebezustand wirkt sich negativ auf die Standortattraktivität der Schweiz und die Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Medizinprodukten aus.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Schweizer Medizintechnik hat weiter zugenommen. In den letzten beiden Jahren hat die Branche 4500 neue Arbeitsplätze geschaffen und ihren Umsatz auf 20,8 Milliarden Franken erhöht. Dies obschon das Jahr 2020 mit Beginn der Pandemie, den behördlich angeordneten Lockdowns und der Verschiebung von Wahleingriffen für viele Sektoren schwierig war. Doch zum gleichen Zeitpunkt erlebten Unternehmen mit Lösungen in der Diagnostik, mit Verbrauchsmaterialien oder in der Intensivmedizin einen grossen Wachstumsschub. Im Jahr 2021 fanden dann alle Sektoren zum Wachstum zurück, teils mit massiven Steigerungsraten.
Gemittelt über beide Jahre 2020 und 2021 wuchs der Branchenumsatz durchschnittlich um 7,6 Prozent pro Jahr. Im Zuge der Regulierungsumstellung berichten zwei Drittel aller Hersteller, dass sie ihr Produktsortiment ausdünnen werden. Die Reduktion des Produktsortiments wegen MDR/IVDR beträgt durchschnittlich rund 13 Prozent. Durch die regulatorischen Anforderungen wird die Entwicklung eines Medizinprodukts im Durchschnitt rund 12 Prozent teurer und die Produktkosten erhöhen sich um etwa 6 Prozent.
Schwierigkeiten melden auch die Schweizer Importeure: Viele ihrer bisherigen Lieferanten haben entschieden, wegen der neuen Regeln den Schweizer Markt aufzugeben. Importeure und Händler geben an, 15 Prozent ihres Produktportfolios aufgrund des Drittstaat-Status zu verlieren.
Zukunftsaussichten
Um auch in Zukunft eine attraktive Branche zu bleiben und den eingeschlagenen Wachstumspfad fortzuschreiten, investiert die Schweizer Medizintechnik weiterhin viel in Innovation. Die Medizin und somit auch die Medizintechnik haben ein grosses Ziel: die Lebensqualität zu verbessern beziehungsweise die Lebenserwartung zu erhöhen. Dies soll möglichst ohne eine Steigerung der Gesundheitskosten geschehen. Statistiken zeigen eine Korrelation zwischen den beiden Grössen. Eine höhere Lebenserwartung geht unter anderem mit höheren Gesundheitskosten einher. Aktuell nehmen die globalen Gesundheitskosten (ca. 8600 Milliarden Dollar) jährlich um ca. 5 Prozent zu. Während die Kosten in Industrieländern um ca. 4 Prozent pro Jahr steigen, verzeichnen aufstrebende Märkte über die letzten zehn Jahre gar ein Wachstum von 11 Prozent pro Jahr. Innovative Lösungen aus der Medizintechnik wollen diesem Trend entgegenwirken, wobei viel Hoffnung in neue digitale Konzepte gesetzt wird.
Wachstumsambitionen
Die Unternehmen, die an der Umfrage teilgenommen haben, planen in den nächsten zwei Jahren vor allem organisch zu wachsen. Die Marktdurchdringung wurde als wichtigste Wachstumsoption angegeben. Insbesondere Schweizer Medtech-Hersteller streben Wachstum durch Produktinnovationen an und demonstrieren so ihre starke Innovationskraft. Käufe und Verkäufe von Unternehmen nahmen im letzten Jahr deutlich zu – es gibt einen Trend in Richtung Konsolidierung, welcher auch im gesamtschweizerischen Markt festgestellt wird.
Investitionen
Mehr als zwei Drittel der Umfrageteilnehmenden gaben an, in den nächsten zwei Jahren Investitionen in der Medizintechnik tätigen zu wollen. Investitionen sind vor allem für Produktionserweiterungen und -optimierungen sowie zur Stärkung der Innovation (Forschung und Entwicklung) vorgesehen. Die Gründe für Investitionen in der Schweiz sind vielseitig: vorhandenes Medtech-Know-how, ein stabiles Wirtschaftsumfeld sowie die hohe Arbeitsproduktivität. Wegen der Kundennähe, der höheren Personalkosten in der Schweiz sowie des stärker werdenden Schweizer Frankens investieren Schweizer Unternehmen vermehrt im Ausland. Top-Trends als lnnovationstreiber Schweizer Medtech-Unternehmen sehen neue Technologien als Chance: Die Optimierung der Herstellungsverfahren sowie verbesserte Funktionalitäten in den Produkten für Diagnostik und Therapie stehen dabei im Fokus. Die Technologie der Smart Devices als ideale Schnittstelle zwischen Patienten und medizinischen Leistungserbringern belegt sowohl bei den Top-Trends, den Patentanmeldungen als auch bei den grössten Herausforderungen für die Branche jeweils die vordersten Plätze.
Innovationsfokus der Hersteller
75 Prozent der Hersteller nutzen kurz- bis mittelfristig die Digitalisierung zur Optimierung der Herstellungsprozesse wie Industrie 4.0, Automatisierung und Robotisierung. Neue digitale Produktionstechnologien wie D-Druck, Dematerialisierung und Miniaturisierung sollen mittelfristig an Bedeutung gewinnen.
AR/VR, Telemedizin oder Mensch-Maschinen-Schnittstelle haben im Vergleich zu 2020 absolut an Bedeutung gewonnen, belegen aber immer noch die hinteren Ränge, da nicht alle Produktgruppen digitaler werden können. Eine grosse Hürde für Digitalisierungsmassnahmen im Bereich Gesundheitsdaten von Patientinnen und Patienten werden restriktive Datenschutzrichtlinien gesehen (u.a. EPDG, ePA, HIPAA/HITECH). Gemass Umfrage wurde vor allem der Trend der Datenaufnahme durch Covid-19 beschleunigt.
Herausforderungen der Hersteller
Im Vergleich zur Umfrage 2020 werden die Herausforderungen gesamthaft «schwächer» eingestuft (2020 bei 27%, 2022 bei 9%), das heisst, die Hersteller sehen die Herausforderungen vermehrt als Chancen und sehen sich für deren Bewältigung gewappnet. Die «smarten» Medtech-Devices sind innovative medizinische Hilfsmittel für die Vorbeugung und bei der Diagnose und werden im Therapiefall immer direkt bei Patientinnen und Patienten eingesetzt. Ihr Aufkommen ist für traditionelle Medizintechnikhersteller mit Chancen und Risiken verbunden.
Neue Sensortechniken (Substitutionstechnologien), Datenaufnahme und deren Verknüpfung ermöglichen neuartige Losungen für den Gesundheitssektor – die Umfrageteilnehmer ordnen dies den relevantesten Herausforderungen zu.
Forschung und Entwicklung
Die Schweizer Medizintechnikbranche bestätigt ihre Bereitschaft, in Innovation zu investieren. Der F&E-Anteil der Befragten liegt zwischen 10 und 13 Prozent. Die Unternehmen gaben über die letzten vier Jahre einen stetig steigenden Anteil ihrer Forschungs- und Entwicklungsaufwände an. Kleine Unternehmen und Mikrounternehmen (häufig Start-ups) mit geringen Umsatzzahlen unter 5 Millionen Franken investieren einen überdurchschnittlich hohen Anteil in Forschung und Entwicklung.