Eine Krebserkrankung kann auf vielerlei Arten angegangen werden. Da gibt es Prävention, Frühdiagnose, Entfernung des Tumors durch chirurgische Eingriffe oder Bestrahlung, gezielte Therapien durch Wirkstoffe oder Zellen, die die Krebsursache bekämpfen – entweder hochpräzise (targeted therapies) mit weniger Nebenwirkungen oder breiter, wie klassische Chemotherapien, die alle schnell wachsenden Zellen treffen. Diese klassische Chemotherapie ist aktuell die zahlenmässig meistverordnete Krebstherapie.
Die «Theranostik» ist ein revolutionärer Ansatz in der Onkologie, bei dem Diagnostik und Therapie nahtlos kombiniert werden. Die Radiopharmazeutika binden gezielt an spezifische Rezeptoren auf Tumorzellen und transportieren Radioisotope direkt zu den Krebszellen, ohne das umliegende gesunde Gewebe zu schädigen. Der grosse Vorteil: Wir behandeln, was wir sehen – und sehen, was wir behandeln. Dabei macht ein diagnostisches Isotop wie Gallium-68 die Tumoren im PET-CT-Scan sichtbar, bevor die Therapie mit einem therapeutischen Isotop wie Terbium-161 oder Lutetium-177 erfolgt. So lässt sich die Wirksamkeit überprüfen und die Behandlung anpassen.
Im Ausland wird diese Art von Therapie bereits in sogenannten Theranostikzentren angewandt. Sämtliche Experten, mit denen ich gesprochen habe, sind sich einig, dass diese Art von Therapie, weil sie gezielt die Krebszellen angreift und (fast) nebenwirkungsfrei ist, der Chemotherapie und auch gewissen gezielten Therapien, bei denen die Krebszellen oft Resistenz entwickeln, überlegen ist. Zudem sollten im Durchschnitt zwei bis drei Anwendungen genügen, um die Krebszellen vollständig dezimiert zu haben. Aus diesem Grund gehen Fachleute davon aus, dass die Radioligandtherapie die Standard-Chemotherapien mit der Zeit ablösen wird.
Die Herausforderungen der Radioligandtherapie liegen aber woanders. Einerseits ist der Nachschub an radioaktivem Rohmaterial für die Produktion der Radiopharmazeutika schwierig sicherzustellen. Andererseits ist ein Knackpunkt, dass die Therapie in der Schweiz (im Gegensatz zu den USA) in einer strahlengeschützten Umgebung erfolgen muss, was die Verabreichungsmöglichkeit gemäss den in der Schweiz vorliegenden Therapiekapazitäten auf ca. 150–200 Therapien pro Tag beschränkt. Rechnet man dies hoch, zeigt sich, dass ohne bauliche oder regulatorische Massnahmen in fünf Jahren die Nachfrage nach Radioligandtherapien bei täglich zurückhaltend geschätzten 1000 Anwendungsgesuchen liegt, währenddem die Therapiekapazität nur ein Fünftel davon überhaupt abdecken kann. Bleiben politische und bauliche Massnahmen aus, droht in fünf Jahren eine Unterversorgung – und es stellt sich die Frage, wer noch behandelt werden kann. Eine solche Situation wäre der Einstieg in eine Zweiklassenmedizin, in der finanzielle Mittel über Leben und Tod entscheiden. So ein Zustand will in der Schweiz bekanntlich niemand. Darum gilt es, jetzt zu handeln, sei es als Politiker, die Weichen zu stellen, ob und wie lange es bei der Radioligandtherapie den Strahlenschutz überhaupt braucht oder als Unternehmer, der nun beginnen muss, die Theranostikzentren zu bauen, damit die Versorgung auch in fünf Jahren gewährleistet ist. Dies stellt für die Schweiz eine Chance dar, bezüglich Krebstherapie in fünf Jahren einen weltweit einzigartigen Qualitätsstandard zu etablieren, da wir bereits auf einem hohen Niveau starten und die führende Forschung im Land haben. Gelingt uns das, stehen wir in fünf Jahren bei verschiedenen Krebsarten an der Schwelle zur Heilung.
▶ In dieser Rubrik äussern Vertreter aus dem Gesundheitswesen ihre Meinung zu aktuellen Themen.
lic. iur. Richard Hubler, Leiter Corporate Office, Swiss Rockets AG, Basel