Implantate gehören heute zum medizinischen Alltag: künstliche Hüften und Knie, Zahnimplantate oder Herzschrittmacher verbessern die Lebensqualität von Millionen Menschen weltweit. Sie lindern Schmerzen, geben Beweglichkeit zurück und ermöglichen ein selbstbestimmtes Leben. Doch trotz aller Fortschritte kommt es immer wieder vor, dass Implantate versagen – sie lockern sich, brechen oder werden vom Körper abgestossen. Für die betroffenen Patientinnen und Patienten bedeutet das oft zusätzliche Operationen, lange Heilungsprozesse und erhebliche Einschränkungen im Alltag.
Auf Spurensuche an der Grenzfläche
Warum kommt es zu solchen Komplikationen – und weshalb nehmen sie in den letzten Jahren eher zu als ab? Antworten darauf sucht die Empa-Forscherin Martina Cihova. Mit einem Ambizione-Grant des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) widmet sie sich in den kommenden vier Jahren dem Verhalten von Titanimplantaten im Körper. Ihr Fokus liegt auf der entscheidenden Kontaktzone zwischen Material und Biologie – der sogenannten Biogrenzfläche.
«Wenn man an Korrosion denkt, dann denkt man an salziges Meerwasser, feuchte Luft, vielleicht das rostige Velo – aber nicht an den menschlichen Körper», sagt Cihova. Doch genau dieser kann überraschend aggressiv sein: Immunzellen setzen Stoffe frei, die den pH-Wert senken und Metalloberflächen angreifen. Was macht der Körper also mit Materialien, die wir eigentlich für stabil halten?
Die Rolle der Titan-Oxidschicht
Titan ist leicht, stabil und bewährt sich seit Jahrzehnten in der Medizintechnik. Seine Biokompatibilität verdankt es einer hauchdünnen Oxidschicht, die sich beim Kontakt mit Luft bildet. Diese Schicht ist jedoch weniger als zehn Nanometer dick und kann durch Bearbeitungen im Herstellungsprozess verändert werden – sei es durch Farbcodierungen, Lasergravuren oder spezielle Oberflächenstrukturen, die das Knochenwachstum fördern sollen.
«Jegliche Oberflächenbehandlung kann die Titanoxide an der Oberfläche verändern», erklärt Cihova. «Und es ist zu wenig erforscht, was das für die Interaktion des Implantats mit dem Körper und für seine Korrosionsbeständigkeit bedeutet.» Schon kleinste Veränderungen könnten die Haltbarkeit und Sicherheit eines Implantats beeinflussen.
Forschung für sichere Implantate
Um diese Zusammenhänge zu verstehen, stellt Cihova mit ihrem Team systematisch variierte Titanoberflächen her. Diese werden nacheinander komplexeren biologischen Umgebungen ausgesetzt: zunächst einfachen Elektrolytlösungen, dann Proteinen wie Fibrinogen, das an der Immunantwort beteiligt ist, und schliesslich lebenden Immunzellen. So soll sichtbar werden, wie unterschiedliche Oberflächen auf den Körper reagieren.
Zum Einsatz kommen hochauflösende Mikroskopie- und elektrochemische Methoden. «Sehen heisst Verstehen – auch, wenn das heisst, auf eine Grössenskala zu schauen, die weit kleiner ist als eine menschliche Zelle», sagt Cihova. «Gerade dort lassen sich oft entscheidende Details entdecken.»
Perspektiven für Patientinnen und Patienten
Die Empa-Forscherin hofft, mit ihren Erkenntnissen zu einer neuen Generation sicherer Implantate beizutragen. Stabile Titanoberflächen könnten die Zahl von Komplikationen reduzieren, Nachoperationen verhindern und die Lebensdauer von Implantaten verlängern. «Solche Biogrenzflächen sind hochkomplex, aber auch äusserst interessant», sagt Cihova. «Ich freue mich sehr, dass wir für dieses Projekt Kolleginnen und Kollegen aller drei Empa-Standorte begeistern konnten. Das ermöglicht es uns, solche komplexen Fragestellungen interdisziplinär anzugehen.»
Darüber hinaus könnten die Ergebnisse weitreichende Bedeutung haben: Auch in Zukunftsfeldern wie der Nanomedizin oder bei implantierbaren Sensoren ist das Verhalten von Metalloxiden an Biogrenzflächen entscheidend für die Sicherheit und Funktion. Die Forschung von Martina Cihova verbindet deshalb nicht nur Materialwissenschaft und Medizin, sondern auch Grundlagen- und Patientenorientierung – ein entscheidender Schritt, um Implantate verlässlicher und langlebiger zu machen.