Herr Zoller, das Closing der Tertianumübernahme Ende Februar fiel zusammen mit dem Start der Coronavirus-Pandemie. Hätten Sie mit dem heutigen Wissensstand trotzdem in Tertianum investiert?
Boris Zoller Absolut. Die Krise zeigt uns sehr deutlich, was für ein starkes Unternehmen Tertianum ist. Wie agil und entschlossen man diese Herausforderung meistert, mit wie viel Herz man mit den Gästen umgeht und die im Branchenvergleich sehr tiefe Mortalitätsrate wegen Covid-19-Infektionen, das ist schon beispielhaft und bestätigt, dass wir in das richtige Unternehmen investiert haben mit einem kompetenten und stabilen Managementteam. Und an der Grundüberlegung hat sich ja nichts geändert: Wir haben eine Gesellschaft, die immer älter wird und daher Leistungen von Unternehmen wie Tertianum zunehmend benötigt.
Warum haben Sie gerade in Tertianum investiert?
Tertianum ist der Schweizer Marktführer in der stationären Pflege und dem betreuten Wohnen. Wir messen der führenden Stellung eines Unternehmens grosse Wichtigkeit bei unseren Investitionsentscheidungen zu. Zudem ist das Unternehmen bereits in 16 Kantonen tätig, daher versteht Tertianum die regulatorischen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen so gut wie fast kein anderer. Diese Grösse hilft auch, gute Ansätze – Best Practice – innerhalb des Unternehmens zu übertragen. Das zeigt die aktuelle Coronakrise sehr gut. Dinge, die an einem Standort gut funktionieren, werden auf die Gruppe ausgerollt. Und ganz wichtig: Wir sehen eine Reihe von Wachstumsmöglichkeiten in heute noch nicht erschlossenen Bereichen.
Welche Bereiche sind das?
Wie Sie wissen wird ein grosser Bereich der ambulanten Pflege heute durch Tertianum nicht bedient. Das war bisher auch nicht Teil der Strategie. Der bisherige Eigentümer Swiss Prime Site hatte einen sehr starken stationären Fokus, natürlich auch in Zusammenhang mit ihrem Schwerpunkt im Immobilienbereich. Wir dagegen sind flexibler und sehen aufgrund der veränderten Bedürfnisse der Bevölkerung auch im ambulanten Bereich grosses Wachstumspotenzial. Im Moment sind wir dabei, mit dem Managementteam die Wachstumsstrategie final zu definieren. Im Endeffekt wird das für unsere aktuellen und zukünftigen Gäste bedeuten, dass sie aus einem breiteren Portfolio an Leistungen auswählen können.
Was ist mit der stationären Pflege, gibt es dort kein Wachstumspotenzial?
Wir sehen Wachstumspotenzial im ambulanten und stationären Bereich. Allerdings sind die Wachstumsmöglichkeiten im gehobenen Segment der stationären Pflege und des betreuten Wohnens eher begrenzt. Wir gehen davon aus, dass ausgehend von den heute 15 Residenzen, eventuell noch zwei bis drei Residenzen im Laufe der Zeit hinzukommen könnten, aber mehr vermutlich nicht. Unabhängig davon werden wir weiter in diesen Bereich investieren mit dem Ziel, zusätzliche Leistungen und noch bessere Qualität anzubieten.
Das heisst, Sie sehen im stationären Bereich das Potenzial eher im mittleren Bereich?
Genau, hier sollte noch mehr möglich sein. Tertianum hat ja auch im letzten Jahr drei übernahmen in der Westschweiz getätigt und in den letzten Jahren zahlreiche neue Standorte eröffnet. Es wird dieses Jahr vermutlich noch weitere Neueröffnungen geben, falls wir diese nicht – bedingt durch die Coronakrise - ins nächste Jahr verschieben müssen. Insgesamt haben wir eine sehr gute Pipeline an geplanten Neueröffnungen und Zukaufmöglichkeiten. Und dann gibt es noch einen Wachstumshebel, den wir stärker bedienen wollen: Die Public Private Partnerships.
Was könnte das konkret bedeuten?
Einerseits, dass man mit der öffentlichen Hand neue Zentren zusammen plant und umsetzt und andererseits, dass man den operativen Betrieb von bestehenden Alters- oder Pflegezentren der öffentlichen Hand in Form eines Service- und Managementvertrages übernimmt. Hier hat Tertianum sehr viel Kompetenz und bereits einige Projekte in dieser Form umgesetzt. In Rheinfelden beispielsweise gibt es mit dem Salmenpark ein grosses Heim, an dem Tertianum 51 Prozent hält und die Stadt Rheinfelden 49 Prozent. Auch in der Westschweiz gibt es einige Beispiele.
Unterscheiden sich das obere und mittlere Segment eigentlich in der Profitabilität?
Nein, interessanterweise nicht. Generell ist die Auslastung immer das entscheidende Kriterium für die Rentabilität.
Wie steuern Sie Tertianum und sorgen dafür,dass Ihre Wachstumsvision auch umgesetzt wird? Haben Sie da ein kleines Team bei Capvis, das sich nur um Tertianum kümmert?
Die operativen Geschäfte werden ausschliesslich vom Management geführt unter der Leitung des CEO Luca Stäger. Darüber hinaus haben wir einen professionellen Verwaltungsrat eingesetzt mit dem erfahrenen Gesundheitsmanager Ole Wiesinger als Präsident sowie Barbara Radtke und den beiden Vertretern von Capvis, Leif-Niklas Fanter und mir. Uns war es wichtig, für den Verwaltungsrat auch externe Spezialisten aus der Branche zu gewinnen, die insbesondere für die Wachstumsfelder Know-how mitbringen. Hier ist natürlich Barbara Radtke zu nennen, die sich im ambulanten Bereich exzellent auskennt. Damit haben wir eine optimale Unterstützung des Managements durch den Verwaltungsrat.
Sie haben kürzlich die Geschäftsleitung von acht auf fünf Personen verkleinert. Was ist der Hintergrund?
Dabei handelt es sich lediglich um eine Vereinfachung der Struktur, um noch effizienter zusammenarbeiten zu können. Mit acht Personen war das Board doch relativ gross. Aber alle Personen, die jetzt nicht mehr in der Geschäftsleitung vertreten sind, haben weiterhin sehr wichtige und verantwortungsvolle Aufgaben im Unternehmen.
Wer wird in der Geschäftsleitung für den Aufbau und den Betrieb des ambulanten Geschäfts verantwortlich sein?
Das ist noch nicht bestimmt und Teil unserer Diskussion zur künftigen strategischen Ausrichtung. Es kann gut sein, dass Tertianum sich hierfür extern verstärken wird.
Gibt es erfolgreiche Vorbilder für das, was Sie mit Tertianum jetzt planen? Die Orpea-Tochter Senevita macht ja eher mit geräuschvollen Management-Abgängen von sich reden.
Zu den Vorkommnissen bei Senevita kann ich mich nicht äussern, da mir die Hintergründe und Details nicht bekannt sind. Die Orpea-Gruppe ist aber schon interessant als Referenzpunkt für uns. Als einer der Ersten haben sie begonnen neben dem stationären Angebot ein ambulantes Angebot aufzubauen mit dem Ziel, ein integrierter Anbieter zu werden. Genau das haben wir bei Tertianum auch vor.
Die Wachstumschancen haben Sie angesprochen. Wie sieht es aus mit Kostenpotenzialen?
Sie haben das Unternehmen sicherlich sehr genau geprüft. Ich sehe in erster Linie Wachstumschancen, grosse Kosteneinsparpotenziale sehe ich da weniger. Wachstum ist getrieben durch zufriedene Gäste, und die möchten wir in auch in Zukunft mit unserer Qualität überzeugen. Selbstverständlich werden wir weiterhin versuchen, die operative Exzellenz zu verbessern. Das ist natürlich auch notwendig, um die notwendigen Ressourcen zu haben für die Wachstumsfelder. Es ist klar, dass man in neuen Geschäftsfeldern zunächst Strukturen schaffen und Investitionen tätigen muss, und das wollen wir so effizient wie möglich machen.
Wie hoch werden die Investitionen in das neue ambulante Geschäft sein?
Das hängt stark von der gewählten strategischen Stossrichtung ab. Je nachdem kann es nämlich Sinn machen, die neuen Geschäftsfelder über Akquisitionen zu erschliessen, was zusätzliche Geldmittel erfordern würde. Als starker Partner verfügt Capvis über die finanziellen Ressourcen auch diesen Wachstumspfad mitzugehen.
Die Mietverträge sind ja in der Regel langfristig und bieten eher keine Möglichkeiten, um Kosten zu reduzieren. Der grösste Kostenblock bei Tertianum sind die Personalkosten. Von anderen vergleichbaren Übernahmen, beispielsweise in den USA, hört man, dass die neuen Eigentümer die Personalkosten dadurch senken konnten, dass vergleichsweise teure, erfahrene Pflegende durch junge, günstigere Pflegefachkräfte ersetzt wurden. Ist das auch für Tertianum geplant?
Es gibt diese Fälle, auch im europäischen Umfeld. Das mögen andere Unternehmen so machen, Capvis hat da eine andere Philosophie. Wir sind Marktführer und haben uns über 30 Jahre eine Reputation aufgebaut, die wir auf jeden Fall bewahren möchten. Und sehen Sie sich unsere Historie bei Capvis an. Wir haben sehr viele Nachfolgelösungen in anderen Geschäftsfeldern durchgeführt, bei denen es sehr auf das Vertrauen der Gründer ankam, die Wert darauf gelegt haben, dass wir die Unternehmen in ihrem Sinne weiterführen. Das haben wir viele Male erfolgreich bewiesen. Und so sehen wir es auch bei Tertianum als unsere Verpflichtung an, das Unternehmen mit seinem tadellosen Ruf weiterzuentwickeln. Tertianum ist eine Wachstums-Story.
Wie lange werden Sie Tertianum vermutlich halten, bevor ein Weiterverkauf erfolgt?
Unser Planungshorizont beträgt etwa fünf bis sieben Jahre. In diesem Zeitraum sollten wir unsere strategischen Ziele umgesetzt haben.
Und wie könnte das Ergebnis von Tertianum in fünf bis sieben Jahren aussehen?
2019 wurde ein EBIT in Höhe von 35 Millionen Franken ausgewiesen. Wenn wir unsere strategischen Ziele erfüllen, sollte eine Verdoppelung des Umsatzes möglich sein. Das halte ich für eine realistische Vorgabe.
Ist ein Börsengang geplant?
Capvis hat eine Historie von zahlreichen erfolgreichen Börsengängen. Ein Börsengang kann durchaus eine mögliche Option sein. Dieser Weg steht grundsätzlich offen. Es gibt eine Reihe von börsenkotierten Pflegeunternehmen im internationalen Umfeld. Die Investoren sind generell interessiert an solchen Unternehmen. Ob es aber wirklich dazu kommt, kann man nicht sagen; das kommt natürlich immer auch ganz darauf an, wie gerade das Klima für Börsengänge ist.
Wie wichtig war die Digitalisierung bei der Akquisition? Spielte das überhaupt eine Rolle?
Ja, absolut. Wir sehen ja gerade auch in der Krise, welche M.glichkeiten die Digitalisierung bietet und wie wichtig sie ist. Darüber hinaus wird Tertianum sehr häufig von Start-ups aus dem Gesundheitswesen kontaktiert, die unser Know-how bei der Beurteilung neuer Geschäftsideen schätzen. Davon profitieren beide Seiten. Gerade diesen Ansatz wollen wir noch weiter ausbauen und arbeiten zurzeit an einem Konzept für ein Innovationlab. Da sind wir noch in einer sehr frühen Phase, aber der Plattformgedanke für junge Unternehmen spielt bei uns eine sehr wichtige Rolle.
Könnten in diesem Zusammenhang auch Beteiligungen an Startups infrage kommen?
Sicherlich sind auch Kapitalbeteiligungen denkbar, aber das werden wir zu gegebener Zeit situativ entscheiden. Ausschliessen will ich es nicht, es erfordert aber eine sehr hohe Kompetenz in der jeweiligen Beurteilung des Geschäftsmodells.
Herr Zoller, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Tertianum ist mit 80 Wohn- und Alterszentren in 16 Kantonen Marktführer in der Schweiz. Das Unternehmen beschäftigt 4860 Mitarbeiter und erzielte im Jahr 2019 bei einem Umsatz von 520 Millionen Franken ein EBIT in Höhe von 35 Millionen Franken. Für geschätzte 500 bis 600 Millionen Franken wurde Tertianum Anfang 2020 an einen von Capvis beratenen Fonds verkauft.
Boris Zoller ist Partner von Capvis, der Private-Equity-Beteiligungsgesellschaft aus Baar, und vertritt Capvis im Verwaltungsrat von Tertianum. Er verfügt über mehr als 10 Jahre Private-Equity-Erfahrung und legt seinen Schwerpunkt auf Dienstleistungsunternehmen und im Speziellen auf Unternehmen im Gesundheitswesen. Zuvor war er als Strategieberater bei Oliver Wyman tätig und verfügt über einen Master-Abschluss in Banking & Finance der Universität St. Gallen. Herr Zoller ist ausserdem im Verwaltungsrat bei Variosystems und im Beirat von Kaffee Partner.