Wissenschaft geniesst heute nicht mehr uneingeschränktes Vertrauen. Manche Gruppen stellen Forschungsergebnisse infrage oder interpretieren sie neu. Was bedeutet das für Studierende und Forschende? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Seminar «Wissenschaft, Vertrauen und Politik» im ETH-Programm Science in Perspective.
Die Teilnehmenden lernen, das Wissen aus Forschung und Technologie auch ausserhalb der Hochschule zu vertreten – und sich aktiv in gesellschaftliche Debatten einzubringen.
Zuhören statt vorschnell urteilen
Der Philosoph und Umwelthumanwissenschaftler Gabriel Dorthe erforscht, wie Vertrauen und Misstrauen in Wissenschaftsfragen entstehen. Dabei dreht er die Blickrichtung um: Er untersucht die Perspektiven wissenschaftskritischer Gruppen, indem er deren Versammlungen besucht, Blogs und Social Media liest und Interviews führt.
«Die Erfahrungen zu kennen, die in Verschwörungstheorien zum Ausdruck kommen, kann unser Verständnis dafür vertiefen, wieso öffentliche Kontroversen um neue Technologien oft so hitzig geführt werden», sagt Dorthe. Skepsis sei dabei nicht nur Ausdruck von Zweifel an Forschung, sondern verweise häufig auf Bedenken gegenüber Politik, Machtstrukturen oder fehlender Selbstbestimmung.
Vom Hörsaal in die Praxis
Dorthe vermittelt Studierenden, wie wichtig es ist, genau hinzuhören und flexibel zu bleiben, bis die Haltung eines Gegenübers wirklich verstanden ist. Ein Beispiel aus dem Unterricht zeigt das Potenzial: Eine Studentin, die mit ihrer Mutter jahrelang über Homöopathie gestritten hatte, veränderte ihre Haltung, indem sie Fragen zu Motivation und Erfahrungen stellte, statt um «richtig oder falsch» zu debattieren. Das führte zu mehr Verständnis auf beiden Seiten.
Bedeutung für die Wissenschaftskommunikation
Die Forschung von Dorthe, zuletzt publiziert in Communications Earth & Environment (Nature-Portfolio), macht deutlich: Skeptische Haltungen sind oft eng mit gesellschaftlichen und politischen Fragen verknüpft. Wer wissenschaftliche Argumente wirksam kommunizieren will, sollte diese Kontexte berücksichtigen.
Sein Fazit: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können von Dialogen mit kritischen Gruppen ebenso lernen wie diese von der Forschung – wenn beide Seiten bereit sind, zuzuhören.
Literatur
Dorthe G. Conspiracy theories as engines of connection for enriched public debates on emerging technologies. In: Communications Earth & Environment, 6, 655 (2025), 13 August 2025. DOI: 10.1038/s43247-025-02581-x.