Die Niemann-Pick Typ C (NPC) Krankheit ist eine seltene und schwere neurologische Erkrankung. Die Häufigkeit von NPC ist mit einem Fall pro 100 000 Personen sehr gering. Die Krankheit beruht auf einer genetischen Störung und wird autosomal-rezessiv vererbt. Das bedeutet, dass ein Kind das kranke Gen von beiden Elternteilen erben muss, um die Krankheit zu entwickeln. Die Erkrankung gehört zu den sogenannten lysosomalen Speicherkrankheiten, bei denen die Zellen des Körpers nicht in der Lage sind, bestimmte Fette richtig abzubauen und zu speichern. Dies führt zu einer Anhäufung dieser Fette in verschiedenen Organen, was schwere gesundheitliche Probleme verursacht.
Die Krankheit kann sich auf unterschiedliche Weise manifestieren. Zu den häufigsten Symptomen gehören Augenbewegungs- und Gleichgewichtsstörungen, Schwierigkeiten beim Schlucken, Gedächtnisprobleme und Verhaltensänderungen. Typisch ist auch eine vergrösserte Milz. NPC stellt für die Betroffenen und ihre Familien eine enorme Herausforderung dar. Speziell, da es derzeit noch keine Heilung gibt und die aktuellen Behandlungsmöglichkeiten sich hauptsächlich darauf beschränken, das Fortschreiten der neurologischen Symptome zu verlangsamen.
Von der Schwindelbehandlung zur Hoffnung für seltene Krankheit
In einer aktuellen Studie, bei der die Universitätsklinik für Neurologie des Inselspitals eine führende Rolle einnahm, wurde die in den 1950er-Jahren entdeckte Substanz N-Acetyl-L-Leucin (kurz NALL) als neue Behandlungsoption für NPC untersucht. NALL, das über spezielle Transporter in alle Körpergewebe (einschliesslich des Gehirns) gelangen kann, wurde ursprünglich zur Therapie von Schwindel entwickelt. Frau PD Dr. med. Tatiana Brémová-Ertl, Oberärztin an der Universitätsklinik für Neurologie und stellvertretende Leiterin des Zentrums für Seltene Krankheiten des Inselspitals, identifizierte vor elf Jahren als Erste das Potenzial von NALL zur Behandlung neurologischer Dysfunktionen bei NPC. Diese neurologischen Beschwerden sind vor allem durch eine Schädigung des Kleinhirns gekennzeichnet, eine sogenannte zerebelläre Ataxie, die mit Koordinationsproblemen, Feinmotorik- und Sprachstörungen, Gleichgewichtsschwierigkeiten und einer erhöhten Sturzgefahr einhergeht.
Basierend auf den positiven Effekten des Medikamentes Tanganil® auf die zerebelläre Ataxie, behandelte Frau Brémová-Ertl 2015 im Rahmen einer klinischen Studie erstmals eine Gruppe von NPC-Patientinnen und -Patienten mit diesem Arzneimittel und fand überraschende Resultate. Das Medikament, dessen Wirkstoff N-acetyl-DL-Leucin (NADLL) eine Kombination aus NALL und N-Acetyl-D-Leucin (NADL) ist, zeigte Effekte, die über eine Verbesserung der zerebellären Ataxie hinausgingen und auf eine verlaufsmodifizierende Wirkung von Tanganil® hinwiesen.
In den folgenden Jahren konnte Frau Brémová-Ertl in Zusammenarbeit mit der Universität Oxford an NPC-Mausmodellen zeigen, dass NALL (und nicht NADL oder NADLL) die Symptome von NPC verbessert, das Fortschreiten der Erkrankung verzögert und das Leben der betroffenen Mäuse verlängert. Diese Erkenntnisse wurden in einer Phase-IIb-Studie mit NPC-Patientinnen und -Patienten bestätigt, bei der eine sechswöchige NALL-Behandlung eine deutliche Reduktion der neurologischen Symptome und eine Steigerung der Lebensqualität zur Folge hatte.
Phase-III-Studie zeigt Wirksamkeit und Sicherheit der neuen Therapieoption
Die aktuelle klinische Studie wurde in 13 Studienzentren weltweit (inkl. USA und Australien) durchgeführt. Am Inselspital beteiligte sich ein interdisziplinäres Team aus Forschenden der Neurologie, der neuroimmunologischen Studienambulanz (ärztliche Leitung: PD Dr. med. Robert Hoepner; administrative Leitung: Lea Weber, MSc ETH), und der Abteilung für pädiatrische Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel des Schweizerischen Referenzzentrums für seltene angeborene Stoffwechselkrankheiten, Bern (Dr. med. Dr. phil. nat. Matthias Gautschi), an dieser ersten Phase-III-Studie mit NALL. Untersucht wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von NALL bei 60 pädiatrischen und erwachsenen Patientinnen und Patienten mit NPC über eine Behandlungsdauer von zwölf Wochen hinweg. Die Ergebnisse zeigen, dass NALL, verglichen mit Placebo, die neurologischen Anzeichen und Symptome von NPC und die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten signifikant verbessert. Auch bezüglich Sicherheit zeigte die Therapie gute Ergebnisse: Die Behandlung mit NALL war allgemein gut verträglich und führte zu keinen schwerwiegenden Nebenwirkungen.
Diese Resultate, die jüngst im «New England Journal of Medicine» veröffentlicht wurden, unterstreichen das Potenzial von NALL als neue Behandlungsmöglichkeit bei NPC. Frau Brémová-Ertl, Erstautorin der Publikation, erklärt: «Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass NALL eine wirksame und sichere Therapieoption für NPC-Patientinnen und -Patienten ist». Gleichzeitig betont die Expertin, dass zusätzliche Studien notwendig sind, um die langfristigen Effekte und die Wirkmechanismen der Substanz genauer zu verstehen. Noch ist unklar, ob es sich bei den Verbesserungen des neurologischen Status um eine symptomatische Linderung der Beschwerden handelt oder ob NALL in der Lage ist, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen oder sogar aufzuhalten. «Aktuell ist die Studie in einer Extensionsphase, in der die krankheitsmodifizierende und neuroprotektive Wirkung von NALL weiter untersucht wird», erläutert Frau Brémová-Ertl. «Unsere Vision ist es, für Patientinnen und Patienten mit seltenen neurologischen Krankheiten, für die momentan in der Schweiz noch keine Therapien zugelassen sind, durch weitere Studien mit NALL eine passende Behandlung zu finden.»