Der Kontakt zwischen Menschen und Tieren wird zunehmend enger. Gründe dafür sind die wachsende Weltbevölkerung, das immer tiefere Eindringen der Menschen in natürliche Lebensräume, die Jagd auf Wildtiere sowie die intensive Viehhaltung und Landwirtschaft. Kombiniert mit Globalisierung, Klimawandel und der erhöhten Mobilität der Menschen sind dies die Hauptursachen für den Ausbruch und die rasche Ausbreitung von Infektionen – das Coronavirus SARS-CoV-2 ist nur ein Beispiel dafür. Neu auftretende oder veränderte Krankheitserreger können sich in kürzester Zeit global verbreiten, Artgrenzen überwinden und zudem Multiresistenzen entwickeln.
«Die menschliche Gesundheit lässt sich nicht mehr isoliert betrachten. Wir haben in den vergangenen Jahren lernen müssen, dass sie eng mit der Gesundheit von Tieren, der Umwelt und auch der ökologischen Diversität verwoben ist», sagt Fabian Leendertz, Gründungsdirektor des neuen Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) und Professor für One Health an der Universität Greifswald. Das One Health-Konzept ist ein interdisziplinärer Forschungsansatz, der genau an diesen Schnittstellen ansetzt. Eine integrierte Überwachung und Verbesserung der Gesundheit von Mensch und Tier sowie von Umwelt- und Klimafaktoren soll ganzheitliche Ansätze zur Bewältigung der gesundheitlichen Herausforderungen durch Infektionskrankheiten liefern.
«Unser One Health-Konzept wurde im November sehr positiv begutachtet, nun muss es sich beweisen», sagt Leendertz. «Daher bin ich sehr froh, dass wir mit dem neuen Helmholtz-Institut für One Health die Gelegenheit haben, unsere Forschung auf dem Grundkonzept aufsetzen und alle Disziplinen einbeziehen zu können, von denen der Forschungsansatz profitieren kann.»
Das HIOH entsteht als ein neuer Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und wird vor allem die Expertise des HZI im Bereich der Epidemiologie, der Wirkstoff- und Impfstoffforschung nutzen. Fabian Leendertz ist überzeugt, dass der Forschungsstandort Greifswald dafür sehr gute Voraussetzungen bietet mit der Universität Greifswald, die eine klassisch breite Expertise in der Ökologie und Zoologie abdeckt, aber auch erfahrene Spezialist:innen für bestimmte Krankheitserreger sowie aus ganz anderen Fachbereichen stellen kann.
Die Universitätsmedizin Greifswald sei ein wichtiger Partner zum Beispiel für Kohorten-Studien, in denen über lange Zeiträume Menschen begleitet und Gesundheitsdaten erfasst werden. Das Friedrich-Loeffler-Institut schließlich deckt den Fokus auf die Tiergesundheit ab und bietet eine einzigartige Infrastruktur mit Laboren bis hin zu der höchsten Sicherheitsstufe (S4). «Die Einbettung in die Helmholtz-Gemeinschaft bietet zudem viele Anknüpfungspunkte zu anderen Helmholtz-Zentren in der Gesundheits-, Umwelt- und Klimaforschung, sodass das HIOH den Vernetzungsgrad innerhalb der Gemeinschaft noch einmal erhöhen kann», sagt Leendertz.
Das HIOH wird drei Forschungsabteilungen beherbergen, und zwar „Ökologie und Entstehung von Zoonosen“ unter der Leitung von Fabian Leendertz sowie die bereits in der Berufungsphase stehenden Abteilungen „Epidemiologie und Ökologie von antimikrobiellen Resistenzen“ und „Pathogen-Evolution“. Zudem werden drei Nachwuchsgruppen und zwei Core Units diese Abteilungen ergänzen. «Ich möchte die neuen Kolleginnen und Kollegen so schnell wie möglich an Bord holen, damit wir gemeinsam unser Konzept in die Umsetzung bringen können», sagt Leendertz. «Gerade für unseren Forschungsansatz ist die enge Zusammenarbeit und die kontinuierliche übergreifende Datenanalyse entscheidend, um schnell und effizient Ergebnisse in die Anwendung bringen zu können.»
Besonderer Fokus liegt dabei zum einen auf der Prävention, also Krankheitsausbrüche zu verhindern, und auf künftige Pandemien vorzubereiten – Stichwort „Pandemic Preparedness“. Wichtige Fragestellungen sind zum Beispiel, wo genau Übertragungen von Erregern zwischen Menschen und Tieren stattfinden, welche lokalen Risiken dafür bestehen und welche Erreger überhaupt auftreten. Als Modellregionen dienen Afrikas Tropen und Mecklenburg-Vorpommerns Kulturlandschaft, die beide von Landwirtschaft und Jagd geprägt sind – allerdings in traditionell ganz unterschiedlicher Weise. «In beiden Regionen können wir uns vergleichend anschauen, welche Erreger mit welchen Antibiotikaresistenzen es bei den Menschen, Tieren und in der Umwelt gibt und wie die Kontakte stattfinden. Mit den Menschen vor Ort wollen wir dann zum Beispiel konkret an ihre Lebensweise angepasste Hygienemaßnahmen ableiten», sagt Leendertz. Auch hier zeigt sich die große Bedeutung der Interdisziplinarität: «Wir Menschen müssen lernen, uns gegenseitig zuzuhören, damit wir Lösungen auf lokaler wie globaler Ebene finden können.» So müsse der One Health-Ansatz auch noch mehr Eingang in die universitäre Lehre und auch in die schulische Ausbildung finden. «Wir haben einen klaren Bildungsauftrag, dem One Health-Gedanken mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen – und diesen Auftrag möchten wir mit dem HIOH erfüllen», sagt Leendertz.