Eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte tritt bei etwa einer von 750 Geburten auf und gehört damit zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen. Heutzutage wird eine Spalte meist im ersten Lebensjahr durch eine oder mehrere Operationen verschlossen. Dies ermöglicht eine normale Nahrungsaufnahme, eine gute Sprachentwicklung und korrigiert das äussere Erscheinungsbild. Das Botnar Research Centre for Child Health (BRCCH) in Basel fördert nun ein Projekt, das diese Behandlung vereinfacht. Davon sollen vor allem Kinder in einkommensschwachen Ländern profitieren.
Bessere Chancen dank Gaumenplättchen
Die Therapie der Fehlbildung beginnt bereits vor der Operation mit der Herstellung eines Gaumenplättchens aus Kunststoff. Dieses Plättchen wird den Kindern möglichst bald nach der Geburt eingesetzt. Es verschliesst den zur Nase hin offenen Gaumen und vereinfacht dem Säugling das Trinken. Zudem bereitet es den Gaumen auf die Operation vor, indem es den Oberkiefer vorformt, den Spalt verengt und die Lage der Zunge korrigiert. Ziel des Projekts ist es, die räumliche Vermessung der Spalte und die darauf basierende Herstellung des Gaumenplättchens mithilfe von digitalen Technologien stark zu vereinfachen.
Eine statt mehrere Operationen
Der Einsatz eines solchen Plättchens ermöglicht es zudem, die Spalte im Alter von etwa sechs bis acht Monaten mit einer einzigen Operation zu verschliessen. Diese in Basel mitentwickelte Methode ist für Eltern und Kind weniger belastend als die sonst üblichen zwei bis vier chirurgischen Eingriffe.
«Unsere klinische Erfahrung zeigt zudem, dass man bei der Operation weniger Gewebe verschieben muss, wenn eine Vorbehandlung mit einem Plättchen erfolgt ist. Das erhöht in der Regel auch die Heilungschancen», sagt Projektleiter PD Dr. mult. Andreas Müller, Privatdozent an der Universität Basel. Müller ist am Universitätsspital Basel für die Behandlung von Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten verantwortlich. Für das BRCCH-Projekt arbeitet er eng mit Dr. Barbara Solenthaler vom Computer Graphics Labor der ETH Zürich, dem Disney Research Labor Zürich sowie Partnerkliniken in Polen und Indien zusammen.
Unkomplizierte Herstellung
Trotz aller Vorteile wird ein Gaumenplättchen in einkommensschwächeren Ländern oft nicht verwendet, denn die Herstellung ist aufwendig: Es braucht einen zahnärztlichen Abdruck des Gaumens sowie einen Zahntechniker, der anhand eines Gipsmodells der Gaumenspalte ein massgeschneidertes Plättchen anfertigt.
Mithilfe von Smartphone, 3D-Druck und einer auf künstlicher Intelligenz basierenden Software möchten Müller und sein Team diesen Prozess nun soweit vereinfachen, dass auch Kliniken in ärmeren Ländern problemlos Gaumenplättchen herstellen können. «Dies eröffnet die Chance für einen relativ einfachen Verschluss der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte in einer einzigen Operation, die auch für Chirurgen machbar ist, welche vorher dafür mehrere Eingriffe benötigt haben», so Müller.
Vom Foto zum 3D-Druck
In Zukunft soll es genügen, dass die Ärztinnen und Ärzte den Gaumen mit einem Smartphone fotografieren und die Bilder in eine spezielle Software einspeisen. Diese erstellt automatisch ein räumliches Modell des Gaumens und entwirft ein individuelles Gaumenplättchen, das anschliessend mit einem 3D-Drucker schnell und günstig ausgedruckt wird.
Für die Entwicklung dieser Anwendung müssen die Forschenden das System jedoch zunächst mit grossen Datenmengen trainieren: Hierfür scannen und vermessen sie bereits vorhandene Gipsabdrücke und bringen der Software mit Simulationen und künstlicher Intelligenz bei, aus zweidimensionalen Fotos das korrekte räumliche Modell des Gaumenspaltes zu errechnen.
In etwa drei Jahren soll das System dann in einer klinischen Studie an einer Partnerklinik in Warschau evaluiert werden. Danach steht ein grosser Test in einem Behandlungszentrum für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten im indischen Hyderabad an, wo jährlich etwa 600 neugeborene Kinder mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte Hilfe suchen.
Müller hofft, dass die mit diesem Projekt gesammelten Daten in Zukunft auch dabei helfen, verschiedene Operationsmethoden objektiv zu bewerten und die Spaltchirurgie zu optimieren: «Damit erfüllen wir ganz konkret die Vision des BRCCH, neue digital basierte Behandlungen für häufige Erkrankungen von Kindern zu entwickeln.»