Lebensmittel-Industrie Was bedeutet der Begriff «Innovation» konkret für Emmi bezüglich Technologie und Sortimentsentwicklung?
Silvana Gmür: «Consumer Centricity» ist heute das Buzzword. Das bedeutet, dass für uns die Früherkennung von Trends mit einem Fokus auf die Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten besonders wichtig ist. Bezüglich Technologie spielt die Digitalisierung eine grosse Rolle, konkret die Entwicklungen zur «Industrie 4.0»-Thematik. Es heisst aber auch offen bleiben für neue und ungewohnte Wege. Immer im Zentrum ist, Wert für den Konsumenten zu schaffen.
Wie stellen Sie sicher, dass dies in der vielfältigen Emmi-Gruppe in der Praxis gelebt wird?
Der Dialog und die Vernetzung sind sehr wichtig. So können wir von der Grösse und Diversität unseres Unternehmens profitieren. Innovation entsteht im Team und wir sind der Treiber um eine «neue Denke» zu entwickeln. Das zentrale Innovations- und New-Business-Team stimmt sich laufend mit den Fachabteilungen und den Produktionsbetrieben ab. Eine enge Zusammenarbeit besteht zudem mit externen Partnern auf verschiedenen Ebenen des Innovationsprozesses.
Welche Unterschiede bestehen zwischen dem Schweizer Markt und den für Emmi wichtigen Auslandmärkten in den unmittelbaren Nachbarländern und darüber hinaus? Wie geht Ihr Team mit diesen Unterschieden um?
Es gibt einige globale Trends, die wir auf verschiedenen Märkten sehr ähnlich bearbeiten können. Das beste Beispiel ist unser Emmi Caffè Latte. Diese Marke können wir deshalb zentral steuern. Dann gibt es Produkte, bei denen wir zwar aus der Zentrale agieren können, aber in unserer Arbeit ganz grob zwischen der Schweiz und dem Rest der Welt unterscheiden müssen. So ist Swissness bei Schweizer Käse überall auf der Welt ein zentrales Element – ausser in der Schweiz, wo es eine Art Selbstverständlichkeit ist. Neben unseren globalen Marken, die wir von Luzern aus steuern, führen wir im Emmi-Universum fast schon unzählige lokale Brands. Da geschehen Entwicklung und Vermarktung lokal und für den jeweiligen Markt.
Sie sagen, dass Swissness auch für Emmi eine Bedeutung hat. Welche Rolle spielt dabei der neu lancierte Swissmilk-Branchenstandard «swissmilk green»?
Emmi trägt als Verarbeitungs- und Vermarktungspartner das Branchenprogramm «swissmilk green» mit und garantiert den Milchbauern für ihre Zusatzleistungen den vereinbarten Mehrpreis. Das Label «swissmilk green» wird auch auf ausgewählten Produkten ersichtlich sein. Ob das neue Label mittelfristig das auf Milchprodukten stark präsente Herkunftszeichen «Suisse Garantie» ersetzt, muss sich noch zeigen.
In welchem Zusammenhang steht «swissmilk green» zu seit Längerem erfolgreich etablierten Qualitätsstandards und Labelprogrammen wie Bio, AOP oder Alp/Berg?
Mit Bio gibt es sicherlich Überschneidungen, denn nicht wenige Konsumenten kaufen Bio beispielsweise des höheren Tierwohlstandards wegen. Da bildet «swissmilk green» nun eine Zwischenstufe zwischen konventionellen und Bio-Produkten. Ich gehe aber dennoch nicht davon aus, dass Bio-Konsumenten inskünftig zu «swissmilk green»-Produkten anstatt zu Bio-Produkten greifen. Dazu ist Bio zu etabliert. Zwischen «swissmilk green» und AOP und Alp/Berg sehe ich wenig Berührungspunkte.
Welche Entwicklungsperspektiven stehen für stark wachsende Ernährungsbedürfnisse wie free from/lactosefrei und der grossen Herausforderung der veganen Sortimente im Vordergrund?
Dies sind interessante Trends für uns. Unser Ansatz ist hier, dass wir diese Trends mit Produkten höchster Qualität bedienen. Also nicht «Hauptsache laktosefrei». Das heutige Bedürfnis nach «free from» ist aber aus unserer Sicht nur der Anfang. Die Entwicklung geht Richtung individualisierter Ernährung. In diese spielen viele Faktoren mit ein. So kann der Konsument ja mittlerweile ja seine ernährungsphysiologischen Bedürfnisse aus seinen Veranlagungen, den gesundheitlichen Bedürfnissen oder seinem Lebensstil ableiten. Derzeit für uns wichtiger als der «free from»-Trend ist der Protein-Trend. Emmi war im Schweizer Markt schon sehr früh – bevor die grosse Nachfrage einsetzte – mit einem entsprechenden Konzept im Retail vertreten.
Emmi-Tochtergesellschaften wie die Schweizer Molkerei Biedermann oder Unternehmen wie Kaiku in Spanien und Surlat in Chile bieten seit Längerem attraktive «Laktosefrei»-Sortimente. Wie geschieht hier der Innovations-Austausch?
Wir sind mit unseren Tochtergesellschaften in einem Austausch, was die jeweiligen Trends und Innovationsbestrebungen im jeweiligen Land sind. Wir inspirieren uns gegenseitig. Die Devise lautet hier «steal with pride». Erfolgreiche Konzepte versuchen wir immer, wenn möglich, zu multiplizieren.
Emmi unterstützt die Bundesstrategie zur Zuckerreduktion – was bedeutet dies für die konkrete Sortimentsentwicklung?
Den Forderungen nach Anpassungen bestehender Angebote muss eine konkrete Nachfrage gegenüberstehen. Von Grossverteilern lancierte Artikel, wie Bio-Jogurts ohne Zuckerzusatz, unterstützen dabei die Bewusstseinsbildung. Wichtig ist die ehrliche und transparente Information. So ist etwa Honig als Süssstoff-Alternative zu Kristallzucker beliebt – aber betreffend Zuckerreduktion kein Fortschritt. Für Emmi stehen natürliche Süssstoffe als Teil von Zutaten wie etwa Früchten und Beeren im Vordergrund. Nicht bewährt hat sich Stevia als Zuckeralternative.
Wie lässt sich die Einführung von Neuheiten im Produktionsprozess integrieren ohne grosse Verluste und Standzeiten zu generieren?
Die Fachleute in den Betrieben tragen mit ihrem Know-how und ihrer Flexibilität entscheidend dazu bei, die Innovationsprozesse praxistauglich beziehungsweise produktionstauglich zu gestalten. Eine grosse Herausforderung für unsere Produktionsbetriebe wird sicherlich in Zukunft die Lancierung von Produktneuheiten in kleinen Mengen sein. Denn die Individualisierung macht auch vor dem Essen keinen Halt. Darauf sind die üblichen Produktionsanlagen in der Milchverarbeitung noch kaum ausgerichtet.
Bei der Milchverarbeitung entstehen auch viele Nebenprodukte, beispielsweise Molke – gibt es hier neue Verwendungszwecke, allenfalls auch über die Lebensmittelnutzung hinaus?
Die Reduktion unseres eigenen Food Waste ist eines unserer Nachhaltigkeitsziele. Es ist uns wichtig, bei Nebenprodukten, wo immer möglich, geschlossene Waren- und Wertschöpfungskreisläufe zu etablieren. Molke als mengenmässig wichtigstes Nebenprodukt bei der Milchverarbeitung können wir teilweise selber zu Produkten wie Molkedrinks oder Ricotta verarbeiten. Zudem stellen wir bei Emmi aus Molke und Buttermilch Pulver und Konzentrate her, die als natürliche Zutaten und Zusatzstoffe in vielen Lebensmitteln zum Einsatz kommen. Der Rest wird zu Tierfutter verwertet.
Welche Nebenprodukte kann Emmi konkret nicht selber verarbeiten und welche Verwendungen bestehen dafür?
Einen Teil der bei der Produktion anfallenden Mengen an Molke und Buttermilch und Permeat kann Emmi nicht für eigene Produktionen verwenden. Zu vollständigen unternehmensinternen Verwendungen besteht keine genügende Nachfrage oder es fehlen teilweise die Produktionsmittel. Klassische Verwendungen wie die Aufbereitung von Nebenprodukten für Tierfutter stehen zudem nicht im Fokus der Emmi-Tätigkeiten, finden jedoch im Sinne der Kreislaufwirtschaft dennoch sehr sinnvolle Verwendungen. Für die Tierfutter-Branche sind unsere Nebenprodukte jedoch willkommene Rohstoffe, die übrigens auch für die Gewinnung von Laktose eine wertvolle Quelle darstellen.
Gibt es weitere interessante Verwendungen von Nebenprodukten?
Es kommen uns natürlich laufend spannende Ideen zu Ohren, wie man solche Nebenprodukte hochwertig verarbeiten könnte, um unserer Zielsetzung der Kreislaufwirtschaft so nahe wie möglich zu kommen. Beispielsweise in Kosmetika oder Kaffeetassen aus Kaffeesatz. Der Kaffeesatz aus der Emmi-Produktion findet übrigens für die Biogas-Herstellung eine sinnvolle und energetisch sehr wertvolle Zweitverwendung.
Strategieumsetzung auf Kurs
Emmi erzielte in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres 2019 ein insgesamt verhaltenes organisches Wachstum von 1,6 %. Während das organische Wachstum in der Schweiz mit 0,5 % gut und in der Division Americas mit 4,3 % den Erwartungen entsprechend ausfiel, konnte die Division Europa aufgrund tieferer Umsätze bei der Gläsernen Molkerei in Deutschland mit 0,7 % die Erwartungen in Summe nicht erfüllen. In allen Divisionen sehr erfreulich entwickelten sich die Umsätze von Emmi Caffè Latte. Aber auch in strategisch relevanten Nischenmärkten wie italienische Dessertspezialitäten oder Ziegenmilchprodukte wurden erfreuliche Zuwächse erzielt. Wachstumstreiber waren im Weiteren auch im ersten Halbjahr 2019 die Wachstumsmärkte Chile, Mexiko und Tunesien.