Wie kam es zur Gründung von Exploris Health?
Nach dem Verkauf meiner IT-Firma wollte ich etwas tun, das einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft hat. In meiner Familie gibt es viele Fälle von Herzkrankheiten, was mich dazu motivierte, die Medizin effektiver zu machen. Inzwischen sind wir jetzt schon seit rund 15 Jahren als Pionier im Bereich der KI unterwegs.
Wie schwierig war der Weg von der Gründung bis zur Markteinführung?
KI war noch nicht in aller Munde als wir diese Reise begonnen haben. Am Anfang war es schwierig, Ärzte zu finden, die sich vorstellen konnten, wie KI die Medizin effektiver machen könnte. Dann mussten wir eine KI-Engine entwickeln, welche der Komplexität in der Medizin gerecht wird. Und eine KI braucht gute Daten.
Woher stammen die Daten?
Am Unispital Basel haben wir schliesslich mit Prof. Michael Zellweger Hunderte von Patienten gemessen, um auf dieser Basis den Cardio Explorer als Produkt zu entwickeln. Anschliessend führten wir vier klinische Studien durch und publizierten die Resultate in medizinischen Fachpublikationen. Dann mussten wir die Marktzulassung in der EU und der Schweiz erhalten und jetzt gesundheitsökonomische Studien als Basis für die Vergütung durch Krankenkassen durchführen. Das alles dauerte viele Jahre. Mit der Zurückhaltung betreffend KI bei Medizinern, Krankenkassen und Behörden zurechtzukommen war eine weitere Hürde.
Was bedeutet die KI für die Medizin?
Wir stehen am Anfang einer neuen Ära in der Medizin. Erste Anwendungen, zum Beispiel die Analyse von CT-/MRI-Bildern oder auch der Cardio Explorer zeigen, dass KI die Medizin nachhaltig effektiver macht. Dies zum Nutzen der Patienten, Ärzte und des Gesundheitswesens allgemein. Mittels KI erhalten Ärzte viel fundiertere entscheidungsunterstützende Informationen. Dies, weil KI hilft, die Komplexität physiologischer Prozesse besser meistern zu können als die gängigen Methoden.
Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Bisher haben Ärzte einzelne Faktoren wie beispielsweise Blutwerte, EKG-Resultate und anamnestische Werte erhoben, deren Grenzwerte angeschaut, um sich ein Bild über die komplexen Zusammenhänge im Körper zu machen. Mit KI erhalten sie nun die Möglichkeit, gleichzeitig alle Werte in ihrer Kombination zu bewerten. Etwas wozu unser Gehirn nicht in der Lage ist. Kombiniert man nämlich die 80 Faktoren, die wir mit dem Cardio Explorer untersuchen, in jeder möglichen Weise miteinander, gibt das mehr Möglichkeitenals es Atome im Universum hat. Mit einer herkömmlichen prozeduralen Software würde es länger dauern als die Zeit, die unserem Sonnensystem verbleibt, um zu Ergebnissen zu kommen. KI liefert einen effizienten Weg, um dies abzukürzen.
Brauchen wir dann noch Ärzte?
Ich habe Ärzte getroffen, die unsicher waren, ob KI sie ersetzen könnte. Aber das ist völliger Unsinn. Genauso unsinnig wäre es, einen CFO abschaffen zu wollen, nur weil es Excel gibt. Die KI ist lediglich ein Hilfsmittel, um bessere Informationen für die ärztliche Entscheidung zu erhalten. Der Arzt wird immer zusätzliche Informationen, wie den Lebensstil, das soziale Umfeld des Patienten und seine Erfahrung in die Entscheidung mit einbeziehen.
Wie haben Sie Ihre KI-Anwendung getestet?
Wir konnten in vier europäischen klinischen Studien zeigen, dass mit dem Cardio Explorer, basierend auf Blutwerten und Patientenangaben, eine vergleichbare Genauigkeit wie bei einem CT erreicht werden kann.
Was bedeutet das für die Praxis?
Der Cardio Explorer als einfacher Bluttest ist um ein Vielfaches günstiger als die derzeitigen Methoden zur Erkennung koronarer Probleme. Jeder Hausarzt und jeder Kardiologe kann diesen Test machen. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten, beispielsweise in der Erstabklärung einer koronaren Herzkrankheit oder auch in der Arbeitsmedizin und führt zu einer besseren medizinischen Versorgung sowie viel geringeren unnötigen Abklärungen, einem früher entdeckten zeitnahen Herzinfarktrisiko und damit auch zu tieferen Kosten im Gesundheitssystem.
Wo wird der Cardio Explorer bereits eingesetzt?
Der Cardio Explorer ist in der EU und der Schweiz als Medizinprodukt zugelassen, wird von Krankenkassen in der Zusatzversicherung bezahlt. In Deutschland erhalten wir den ersten Selektivvertrag von einer grossen Krankenkasse. Wir fokussieren auf Märkte wie Deutschland, wo lange Wartezeiten für Folgeabklärungen zu unnötigen Herzinfarkten führen und der Kostendruck so hoch ist, dass auch vonseiten der Krankenversicherer und Behörden Handlungsbedarf besteht. Zudem sind wir in Gebieten tätig, wo die Vergütung des Tests rascher bewerkstelligt wird. In der Arbeitsmedizin erlaubt der Test eine vergleichbare Genauigkeit wie die des CT in die Check-ups von Mitarbeitenden einzuführen.
Wirkt der Test für Männer und Frauen gleich?
Ja, das haben wir bewiesen. Wobei die Indikatoren für eine Erkrankung völlig unterschiedlich sein können. Ein hoher Wert eines Faktors bei einem Mann kann auf ein hohes Risiko hinweisen, gleichzeitig kann dieser hohe Wert für eine Frau auf ein geringes Risiko hinweisen.
Wie differenziert sich Exploris Health von anderen Unternehmen im Bereich digitaler Gesundheitslösungen und KI-basierter Diagnostik?
Die meisten KI-Lösungen in der Medizin sind entweder Lifestyle-Produkte oder dienen der Effizienzsteigerung von Prozessen. Man setzt KI auch in der Auswertung der Bildgebung ein. In der harten Diagnostik gibt es wenige Beispiele, welche eine Zulassung als Produkt mittlerer oder höherer Risikoklasse haben. Im Bereich der molekularen Herzdiagnostik sind wir mit unseren vier klinischen Studien mit mehr als 4500 Patienten, der EU-Marktzulassung als Invitro-Diagnostik und dem Evidenznachweis in der Verbesserung der Versorgung weit fortgeschritten.
Welche Märkte sind für Sie am interessantesten, und wo sehen Sie das grösste Wachstumspotenzial?
Märkte, die Versorgungsprobleme, Kostendruck und eine relevante Marktgrösse haben, sind unsere Zielmärkte. Der Aufwand, von der Grundversicherung vergütet zu werden, ist in der Schweiz gleich hoch wie im zehnmal grösseren Markt Deutschland. Zudem sind Länder, welche die Vergütung von Innovationen im Gesundheitswesen fördern im Fokus. Die USA sind für Medizinprodukte wegen der Marktgrösse ebenfalls wichtig, wir sind in Meetings mit der FDA. Die renommierte Cleveland Clinic und auch die Harvard Medical School sind in der Vorbereitung von Studien für den Cardio Explorer.
Exploris Health arbeitet mit vielen namhaften Partnern zusammen, wie z. B. Microsoft und Roche. Wie wichtig sind diese Partnerschaften für Ihr Unternehmen und wie profitieren Sie davon?
Partnerschaften sind in vielerlei Hinsicht wichtig. Es geht unter anderem um den Zugang zu sicheren Technologien, den Marktzugang und um das Vertriebssystem.
Können Sie Beispiele für Kooperationen geben, die wichtig für die Entwicklung des Cardio Explorers waren?
Unsere Kooperation mit Prof. Zellweger vom Unispital Basel für die Entwicklung des Cardio Explorers war besonders wichtig. Die Einladung an einem EU-Projekt unter der Leitung von Prof. Hans Peter Brunner in Maastricht, zusammen mit vier weiteren europäischen Kliniken und finanziert durch den Bund sowie dem Kanton Zürich, war entscheidend für eine erste Version des Heart Failure Explorers. Zudem gibt es Kooperationen mit grossen Industriepartnern beim Marktaufbau und den Vertriebskanälen.
Wie gross sind die regulatorischen Herausforderungen?
Die Bürokratie belastet uns bis an unsere Grenzen, das ist eine Herausforderung. Ich frage mich manchmal, wie Start-ups das überhaupt finanzieren können. Der Prozess dauert viel zu lange: Medikamente, die heute auf den Markt kommen, wurden vor 15 Jahren forschungsseitig gefunden. Stellen Sie sich vor, was in der Medizin heute alles machbar wäre, wenn Therapien bereitstehen würden, die vor 5 Jahren forschungsseitig gelöst wurden. Im Gesundheitsmarkt ist Regulation wichtig, aber es wird mittlerweile übertrieben. Die heutigen Prozesse verhindern, dass Innovationen zeitnah den Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen. Das Risiko an Krankheiten zu leiden und daran zu sterben, würde reduziert, wenn neue Diagnostiken und Therapien zeitnaher verfügbar wären.
Könnten Sie Ihre KI nicht auch für die Diagnostik von anderen Erkrankungen einsetzen?
Ja, das wäre möglich, wir haben auch Prototypen, beispielsweise für Brustkrebs, aber wir müssen uns fokussieren, alles andere kostet zu viel Geld, wir können nicht alles gleichzeitig finanzieren. Deshalb konzentrieren wir uns auf die Vermeidung von Herzinfarkten und die Verbesserung der Herzinsuffizienztherapie. Wir wollen weltweit führend in der KI-unterstützten Herzdiagnostik und -therapie werden. Damit zielen wir auf ein Gebiet, in dem die Versorgung verbessert und gleichzeitig die Gesundheitskosten reduziert werden können. Neuere Studien zeigen, dass in Deutschland, nach den Abklärungen durch Hausärzte, niedergelassenen Kardiologen, der Bildgebung und dann nach der Überweisung zum Herzkatheter in 60 Prozent der Fälle keine behandelbaren Gefässverengungen vorliegen. Gleichzeitig werden zu viele Herzinfarkte verpasst. Eine grosse deutsche Krankenhasse hat berechnet, dass in Deutschland durch unseren Test im Jahr mehr als hundert Millionen EUR eingespart werden könnten.
Wie sehen Sie die Rolle von künstlicher Intelligenz in der zukünftigen Gesundheitsversorgung und Diagnostik?
Medizin ist eine Informationswissenschaft, die viel komplexer ist als Technologie-Wissenschaften, wofür oft lineare Modelle genügen. In der Medizin sehen wir meistens keine linearen Abhängigkeiten, eher Muster, die auftauchen und wieder verschwinden und die von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein können – dafür eignet sich KI. KI birgt den Schlüssel zu einem Quantensprung in der Medizin, indem sie die Ärztinnen und Ärzte bei der Beurteilung, Entscheidungsfindung und der patientenindividuellen Therapie unterstützt.