Fehldiagnosen stellen ein ernsthaftes Problem im Gesundheitswesen dar, wobei bis zu 15 Prozent der Patienten betroffen sind. Besonders in Notaufnahmen, wo Ärzte unter hohem Zeitdruck arbeiten, erhofft man sich durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) eine Verbesserung der Diagnosequalität. Ein Forschungsteam unter der Leitung des Inselspitals und der Universität Bern hat nun in einer weltweit ersten Studie untersucht, ob ein KI-basiertes Diagnosesystem die Qualität der Diagnosestellung in der Akutmedizin verbessern kann.
Die Studie, deren Ergebnisse in «The Lancet Digital Health» veröffentlicht wurden, umfasste 1204 Patienten mit unspezifischen Beschwerden, die zwischen Juni 2022 und Juni 2023 in vier Schweizer Notaufnahmen behandelt wurden. Während der Interventionsphasen setzten die Ärzte das KI-basierte System «Isabel Pro» ein; in den Kontrollphasen erfolgten Diagnosen ohne technische Hilfsmittel. Die Qualität der Diagnosen wurde anhand von Kriterien wie ungeplanter medizinischer Nachsorge, nachträglichen Diagnoseänderungen, unerwarteten Intensivaufnahmen und Todesfällen innerhalb von 14 Tagen bewertet.
Die Ergebnisse zeigten keinen signifikanten Unterschied zwischen den Phasen mit und ohne KI-Unterstützung: In beiden Gruppen trat bei 18 Prozent der Patienten ein diagnostisches Qualitätsrisiko auf. Auch hinsichtlich schwerwiegender unerwünschter Ereignisse und des Ressourcenverbrauchs gab es keine Unterschiede. Prof. Dr. med. Wolf Hautz, Leitender Arzt der Universitätsklinik für Notfallmedizin und Erstautor der Studie, fasst zusammen: «KI-basierte Diagnoseunterstützung hat in der Notfallmedizin keinen für die Patientinnen und Patienten messbaren Effekt.»
Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass derzeit verfügbare KI-Technologien das Problem der Fehldiagnosen nicht lösen können. Es besteht Bedarf an alternativen Lösungsansätzen und intensiverer Forschung, um die Diagnosequalität zu verbessern. Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) fördert daher an der Universitätsklinik für Notfallmedizin des Inselspitals den Aufbau einer Arbeitsgruppe zum Thema «Kollaborative Entscheidungsfindung».
Quellen
Universität Bern