Mehr als zwei Prozent der Weltbevölkerung leiden einmal im Leben an einer Zwangsstörung. Menschen kämpfen mit wiederkehrenden Bildern, Gedanken und Impulsen - einem inneren Zwang, den sie nicht oder nur teilweise kontrollieren können. Dabei ist vor allem das frühzeitige Erkennen zwanghafter Handlungen von großer Bedeutung für eine erfolgreiche Behandlung. Wissenschaftler haben nun untersucht, wie digitale Geräte und ihre integrierte Sensorik bei der Früherkennung künftig einen wichtigen Beitrag leisten können. Sich wiederholende Muster sollen mit ihrer Hilfe erkannt und Betroffenen somit zeitnah geholfen werden.
In der neuen Folge des HPI- Wissenspodcasts Neuland "Wie Sensoren helfen, Zwangsstörungen zu erkennen" diskutieren Professor Bert Arnrich, Leiter des Fachgebiets " Digital Health - Connected Healthcare (http://www.hpi.de/arnrich) " am Hasso-Plattner-Institut (HPI) und seine Doktoranden Kristina Kirsten und Jonas Chromik über neue Möglichkeiten und Chancen, Sensoren in der Diagnostik einzusetzen. Mit Moderator Leon Stebe sprechen sie über den aktuellen Forschungsstand, technische Potenziale und die Wichtigkeit, Zwangsstörungen frühzeitig zu erkennen, um Betroffene gezielt unterstützen zu können.
"Viele besitzen mittlerweile eine Smart Watch, um ihre Fitness und ihren Schlaf zu tracken. Für unser Forschungsvorhaben war schnell klar: Warum diesen Alltagsbegleiter nicht auch dafür nutzen, um wiederkehrende Handlungen zu erkennen und Zwangsstörungen aufzudecken?", so Kirsten, Doktorandin am Lehrstuhl "Digital Health - Connected Healthcare" des HPI in Potsdam. Ziel des Forschungsprojekts sei es, die Daten, die die Sensoren der digitalen Alltagsbegleiter generierten, auf wiederkehrende Muster hin zu untersuchen. Doktorand Chromik erklärt: "Bewegungssensoren, sogenannte IMU-Sensoren, PPG-Sensoren und EKG-Sensoren kommen hierbei zum Einsatz, um Beschleunigung, Drehbewegungen sowie Pulsschlag und Herzaktivität messen zu können." Die Auswertung der Daten könne Aufschluss darüber geben, welche Aktivitäten eine Person ausführt und ob Rückschlüsse auf körperliche Belastung und Stress festgestellt werden können. "Die Sensoren registrieren, dass eine verschlossene Tür zum Beispiel mehrmals mit den Händen überprüft wird, und hinterlassen so ein wiederkehrendes Muster in den Daten. Das hilft eine Zwangsstörung quantifizieren zu können", bestätigt Professor Arnrich. Diese genaue Quantifizierung erhalte man durch eine normale Befragung der Patienten nämlich nicht, da sich Betroffene an die Häufigkeit ihrer wiederkehrenden Handlungen oftmals nicht erinnern können.
Wunsch des Forscherteams ist es, eine App, die Zwangsstörungen bereits im frühen Stadium feststellen kann, für das Smartphone zu entwickeln. Denn bei vielen Menschen blieben Zwangsstörungen lange unentdeckt. Je länger sich diese jedoch manifestieren, desto schlechter fallen die Heilungschancen aus. Die Hürde einen Arzt zu konsultieren, sei oftmals zu hoch und die App damit die Chance, eine zugängliche und niedrigschwellige Unterstützung zu bieten. "Mit unserem IT- und medizinischem Wissen wollen wir einen Beitrag leisten, Stigmata zu reduzieren und die Aufmerksamkeit auf den so wichtigen Bereich psychische Gesundheit lenken.", betont Kirsten.